Willi Baumeister. Kreuz und Quer
Dieser virtuelle Raum ermöglicht einen ersten Einblick in das Werk von Willi Baumeister. Er gehört zu den bedeutenden deutschen Künstlern der Klassischen Moderne und gilt als einer der Wegbereiter von der Figuration in die Abstraktion. Bereits in den 1920er-Jahren stellt Baumeister in Paris, damals die Hauptstadt der Künste, aus. Es folgen Ausstellungen kreuz und quer durch Europa. Gebrandmarkt als »entarteter Künstler« ist Baumeister während der Zeit der Nationalsozialismus fast vollständig eingeschränkt. Nach 1945 kann er jedoch wieder an seine internationalen Beziehungen anknüpfen.
Das Archiv Baumeister umfasst seinen künstlerischen und schriftlichen Nachlass und ist die zentrale Forschungsstätte zu Baumeisters Leben und Werk. Es enthält unter anderem auch biografische Fotos mit Künstlerkolleg:innen wie Sonia Delaunay-Terk und Piet Mondrian.
Raumansicht
Beeinflusst vom Konstruktivismus entsteht ab 1924 eine neue Reihe von Arbeiten: die Maschinenbilder. Baumeister hat ein ausgeprägtes Gespür für die Welt, in der er lebt; der technische Fortschritt in Form der Maschine ist für ihn nichts Erschreckendes, sondern fasziniert ihn.
Der Titel des Werks »Konstruktion Rot-Oliv« gibt Auskunft über den bildnerischen Aufbau. Kennzeichnend für die gesamte Werkgruppe sind die regelmäßig begrenzten rechteckigen, gerundeten, welligen, kreis- oder halbkreisartigen Formteile, in denen organische Motive aufscheinen. Trotz der Abstraktion ist eine menschliche Figur erkennbar: Kopf, Schulter, Unter- und Oberarme, Hüfte und Beine. Die geschwungene Linie rechts im Bild deutet die Silhouette an. Lilafarbene organisch wirkende Wölkchen durchbrechen die geometrischen Formen. Der Farbklang ist komplementär: Oliv zu Rot, Gelb zu Lila, Schwarz zu Weiß.
Geprägt durch seinen Sinn für das Menschliche und gleichzeitig für abstrakte Strukturen wird Baumeisters Malerei trotz verbleibender figürlicher Motive immer geometrischer. Mit großer Energie studiert er die Fläche, die Verschiebung der Achsen, die Möglichkeiten des illusionistischen Raums sowie die Einbeziehung des Menschen in den abstrakten Bildaufbau.
Für Baumeister gibt es im Bild keine wesentlichen Unterschiede zwischen Maschine und Mensch. Er sieht in die Formen der Maschinen Körperliches hinein: Scheiben werden zu Köpfen, Kolben zu Armen.
Selbstbewusst blickt uns der junge Mann entgegen. Das Gesicht ist im Dreiviertelprofil dargestellt, die gemalten Augen suchen Blickkontakt. Mit in die Stirn geschobenem Hut, Anzug, Krawatte und vor allem kritisch-distanziertem Gesichtsausdruck präsentiert sich der Kunststudent Willi Baumeister in diesem »Selbstbildnis« von 1910.
Das Gesicht, die Kleidung, ebenso der Hintergrund, sind mit pastosem Pinselstrich aufgetragen. Zwischen den Farbflächen scheint der Bildträger durch: Der bräunliche Karton wird dadurch selbst zum Bildelement. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Fenstern im Hintergrund: Es sind schlicht freigelassene Flächen – eine für die Zeit ungewöhnliche Maltechnik.
Das Selbstporträt entsteht während Baumeisters Studienzeit an der Kunstakademie in Stuttgart. Später äußert er dazu: »Nach 2 oder 3 Semestern, wurde meine Bemühung vom Professor endgültig als unbegabt abgelehnt. Da ich jedoch eisern bestrebt war, trotz allem Maler zu werden, ergab sich ein unlösbares Problem.« Letztlich nimmt ihn der fortschrittliche Professor Adolf Hölzel in seiner Klasse auf. So kann Baumeister sein Kunststudium doch fortsetzen. Mit seinen Studienkolleg:innen diskutiert er unter anderem über die Frage »Welche Motive wählt sich der Maler?« und bemerkt dazu: »Wir sprachen oft und ausgiebig über das Selbstporträt. Ich neigte nicht dazu. Ein einziges versuchte ich und glitt dabei in die Selbstironie.«
»Apoll und der Maler« ist der Titel eines 1921 von Willi Baumeister bereits in eigenständigem Stil geschaffenen Gemäldes.
Ein unregelmäßiger brauner Rahmen umgibt die in gedämpften Farbtönen gehaltene Komposition. Sie besteht aus geometrischen Elementen und hebt sich optisch vom Rahmen ab. Teilweise sind die Formen als Volumen, teilweise als Fläche dargestellt. Trotz dieser Reduzierung sind zwei Figuren klar erkennbar. Beide befinden sich vor einem Hintergrund, der zusammengesetzt ist aus übereinanderliegenden Rechtecken. Die Figuren gliedern sich in Segmente, die durch die Hintergrundformen vorgegeben sind. Formen mit unterschiedlicher Räumlichkeitswirkung, mal dreidimensional, mal zweidimensional, bilden die Glieder der beiden Körper. Trotz der Unterschiede wirkt ihre Komposition harmonisch.
Das Werk »Apoll und der Maler« ist im Jahr 1922 in der Berliner Galerie Der Sturm zu sehen. Baumeister stellt dort gemeinsam mit dem Franzosen Fernand Léger aus. Die Berliner Präsentation macht Willi Baumeister weit über Stuttgart hinaus bekannt. Auch die französische Avantgarde wird durch Werke wie dieses auf den jungen Künstler aufmerksam.
Auf einen weißen Untergrund setzt Willi Baumeister eine ebenfalls weiße mit Sand strukturierte Form. Je nach Lichteinfall hebt sie sich plastisch vom Grund ab oder scheint in ihm zu versinken. Das Motiv übernimmt Baumeister aus der Druckgrafik und überträgt es ebenfalls in ein Relief aus Holz.
Der Drucker Luitpold Domberger berichtet über die Entstehung dieses Zeichens. Er erklärt, dass Baumeister während der Arbeit an seinen Serigrafien in Dombergers Werkstatt mit einer Druckwalze experimentiert und damit spielerisch über einen Bogen Packpapier fährt. Die Form, die dabei entsteht, kommentiert der Künstler mit den Worten: »Der Zufall macht die schönsten Sachen.« Baumeister belässt es jedoch nicht bei diesem zufälligen Ergebnis, sondern schneidet den Umriss mit der Schere aus. Das zeichenhafte Symbol seiner sogenannten Han-i-Bilder ist geboren.
Die Werke der »Han-i«-Serie gehören zu Willi Baumeisters letzten Arbeiten: 1955 findet in der Galerie Cercle Volney in Paris eine Ausstellung abstrakter Kunst statt, in der auch Baumeister mit einigen Arbeiten vertreten ist. Parallel dazu wird in einem Pariser Museum chinesische Kunst aus der Han-Zeit gezeigt, die Baumeister tief beeindruckt. Diese Ausstellung inspiriert ihn wohl auch zu seiner Wortschöpfung »Han-i«. Er stirbt am 31. August 1955 vor der Staffelei in seinem Atelier.
Auf sandgelbem Grund versammelt Willi Baumeister hieroglyphenhafte Gestalten in dunklen Erdfarben. Das Gemälde aus dem Jahr 1942 trägt den Titel »Afrikanische Erzählung« und entsteht in einer Werkphase, in der sich Baumeister intensiv mit dem Thema »Afrika« beschäftigt. Er selbst bereist diesen Kontinent nie. In den Werken spiegelt sich sein Bild, seine Vorstellung von Afrika. Bei seinem Tod 1955 umfasst die Serie etwa 60 Arbeiten.
Am 26. Januar 1942 vermerkt Baumeister in seinem Tagebuch: »[…] ein kleines Bild sieht aus wie Afrika - Ornamentik […]«, und im Februar des gleichen Jahres spricht er von einer afrikanischen Epoche, von schwarzen Formen auf weißem Grund, der Ornamentik sich nähernd.
Bei aller Begeisterung für die Kunst fremder Länder und ferner Zeiten ist sich Baumeister der Distanz bewusst: »Dem Inhaltlichen vergangener Kunst oder der Kunst ferner liegender Zonen völlig gerecht zu werden ist selbst bei aller Einfühlungsfähigkeit, auch bei entsprechenden historischen Kenntnissen unsicher. Bei Betrachtung eines ägyptischen, peruanischen, chinesischen Kunstwerks bleibt der Betrachter in seiner Zeit und das Werk in der seinen und beide in ihren besonderen Kulturbedingungen.«
Bei genauerer Betrachtung der »Schreitenden Figur« aus dem Jahr 1934 sind drei Figuren erkennbar: eine schwarze im Vorder-, eine orangefarbene im Mittel- und eine weiß konturierte schemenhafte Figuration im Hintergrund. Besonders die beiden vorderen scheinen in Bewegung zu sein: schreitend, tanzend, sich drehend.
Das Gemälde ist Teil einer Serie von Bildern, in denen sich Baumeister mit Bewegung beschäftigt. Charakteristisch für die sogenannten Läufer-Bilder sind die stark vereinfachten schemenhaften schwarzen Gestalten auf braunem grobkörnigem Grund, wofür Baumeister die Leinwand mit Sand präpariert. Die Arbeiten sind inspiriert von prähistorischen Felsmalereien, die Baumeister bereits seit Ende der 1920er-Jahre faszinieren. Er »übersetzt« sie in eine moderne Sprache – eine Symbiose aus Alt und Neu. Er bringt die Bewegung der modernen Welt mit der Erinnerung an vergangene Kulturen zusammen.
Als Baumeisters erste Einzelausstellung 1935 in der Mailänder Galleria del Millione stattfindet, stoßen besonders seine figurativen Bilder auf großes Interesse. Die auf den ersten Blick abstrakt wirkende »Schreitende Figur« mit ihren figürlichen Elementen wird durchaus positiv aufgenommen.
Schwarze wesenhafte Formen schweben auf weißem Grund. Sie erinnern an Amöben oder Insekten mit ihren auslaufenden feingliedrigen Tentakeln. Das Gemälde »Metamorphose schwarz« entsteht 1950. Es gehört zu den miteinander verwandten Serien »Wachstum« und »Wind«. Bei beiden handelt es sich um Schwarz-Weiß-Kompositionen Willi Baumeisters, die sich durch ihre große Leichtigkeit und Bewegtheit auszeichnen.
Nach den beiden Serien befragt, beschreibt Willi Baumeister seine Arbeitsweise wie folgt: »Die ersten Studien für diese Malerei waren schwarze Linien, die in einem zweiten Schritt immer kräftiger wurden und sich zu bewegen schienen. Der letzte Prozess bestand darin, den weißen Hintergrund stärker auszuarbeiten.«
Mit dieser Methode kehrt Baumeister den herkömmlichen Produktionsprozess eines Gemäldes um. Anstatt mit dem weißen Untergrund zu beginnen, arbeitet er zuerst an den schwarzen Formen, die sich über das Bild bewegen. Erst abschließend widmet er sich intensiv dem scheinbaren Hintergrund, legt ihn über die Zeichen und definiert dadurch eindeutig ihre Gestalt.
1912 widmet sich der junge Willi Baumeister einem traditionellen Sujet, dem vom Mittelalter über die Renaissance bis ins 19. Jahrhundert beliebten Motiv der »Badenden«. Ein Maler, der sich intensiv mit dem Thema befasst, ist Paul Cézanne. Der Franzose gilt als Wegbereiter der Klassischen Moderne und beeinflusst zahlreiche Künstler. Auch für Baumeister ist er ein wichtiges Vorbild.
Bei seinen »Badenden« spielt Baumeister den weiblichen Akt in verschiedenen Ansichten durch. Der Bildmittelpunkt ist bestimmt von einer stehenden Dreiviertelfigur, zu deren Füßen eine liegende Figur ruht. In der linken Bildhälfte findet sich eine Rückenfigur in einer Art Rahmen, deren Konturen sich aufzulösen scheinen. Im rechten Bildhintergrund sitzen und stehen weitere Frauen.
Die großzügige und farbig-flirrende Malweise ist geprägt vom französischen Impressionismus. Die Aktfiguren sind zusammengesetzt aus weißen, gelben und blauen Farbflächen. In der grünen Wiese, dem roten Haus links und dem blau-weißen Himmel finden sich komplementäre Farben nebeneinander. Der pastose freie Farbauftrag, die Reduzierung der Figur auf Grundformen und der Verzicht auf eine realistische Tiefenwirkung im Bild lassen den Einfluss Cézannes erkennen.
Stets auf der Suche nach neuen gestalterischen Möglichkeiten, wechselt Willi Baumeister häufig seine Ausdrucksformen. In den 1930er-Jahren entwickelt er Werkgruppen mit freien schwebenden Figurationen. Die Zentrierung der Bildkomponenten fällt weg, die Bewegung resultiert nicht mehr aus Bildachsen, sondern aus kleinteiligen Formen, die sich über die ganze Fläche ausbreiten. Das »Flämmchenbild« gehört zu einer zehnteiligen Bildserie. Der Titel leitet sich von den kleinen waagerechten wellenartigen weiß-schwarzen Formen ab, die über der dargestellten Figur hinwegzuziehen scheinen. Schwebende biomorph vieldeutige Formen prägen das Bild.
Baumeister liebt die Variation. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass er diese Bildidee in mehreren teils nur leicht abgewandelten Ausführungen gestaltet.
Was stellen die »Flämmchenbilder« dar? Baumeister meint dazu: »Man verlangt viel vom Maler, wenn er über den Inhalt seiner Bilder sprechen soll. Die vordergründige Frage, was ist dargestellt, will in der Regel die Dingsucht befriedigen und klammert sich daher auch gern an Bildtitel. Aber Titel werden immer hinterher gemacht! Sie geben der Fantasie des Betrachters einen Anstoß, ihn zu entdecken und dadurch einige Zeit am Objekt festhalten.«
Auf dem »Tori« aus dem Jahr 1938 scheinen klar umrissene bogenartige Flächen in Schwarz und den Grundfarben Rot, Blau und Gelb auf der Leinwand zu schweben. In Baumeisters Tagebuch findet sich im Februar dieses Jahres eine kleine Skizze, zu der der Künstler vermerkt: »[…] genannt Tori-Bilder, da sie an die japanische Holztorform erinnern.«
Der japanische Begriff »Torii« bezeichnet den geschwungenen Bogen über dem Eingang zu einem Shinto-Schrein. Da sich Baumeister bereits seit den späten 1920er-Jahren mit außereuropäischen Kulturen – darunter auch der japanischen – beschäftigt, ist es nicht weiter überraschend, dass auch sie eine Quelle seiner Inspiration sind.
1938 schneidet und druckt der 20 Jahre jüngere Künstler und Holzdrucker HAP Grieshaber das Tori-Motiv nach einem ebenfalls »Tori« benannten Gemälde aus demselben Jahr. Für Grieshaber hat Baumeister als nicht gegenständlich arbeitender Künstler im Dritten Reich eine wichtige Vorbildfunktion. Deshalb versieht er den Tori-Holzschnitt voller Bewunderung mit der Widmung »W. B. dem Gesetzgeber in gesetzloser Zeit von seinem Drucker HAP Grieshaber«.
»Der Maler mit Palette« aus dem Jahr 1932 ist Teil einer ganzen Serie, in der sich Willi Baumeister in pointillistischer Technik der Rolle des Malers widmet. Insbesondere der französische Postimpressionist George Seurat, der als einer der wichtigsten Vertreter des Pointillismus gilt, dient ihm in dieser Schaffensphase als stilistisches Vorbild.
Der Pointillismus hat seine Blütezeit zwischen 1889 und 1910 und zeichnet sich durch einen Bildaufbau mit klaren kompositorischen Regeln aus, wobei die ungemischten Farben in kleinen regelmäßigen Tupfen aufgetragen werden. Erst bei der Betrachtung wird aus den vielen Einzelpunkten ein Gesamtbild.
Beim »Maler mit Palette« durchbricht Baumeister dieses pointillistische Konzept, indem er die Palette mit vier Grundfarbenklecksen in Schwarz, Blau, Rot und Gelb amöbenhaft obenauf schwimmen lässt. Zudem greift er mit dem hochgestellten beigen und dem querliegenden zweifarbigen Rechteck auf der rechten Bildhälfte typische Elemente aus seinen konstruktivistischen Gemälden auf. In dem beigen Rechteck ist eine weitere Figur nur durch eine Umrisslinie in Weiß zu erkennen. Könnte es sich um das Modell des Malers handeln?