Otto Herbert Hajek

Farbserigrafie des Künstlers Otto Herbert Hajek

Einführung

Otto Herbert Hajek (Kaltenbach [Nové Hutě], CZ, 1927–2005 Stuttgart) zählt zu den bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Über 50 plastische Werke und »Kunst am Bau«-Projekte hat der Künstler in Stuttgart im öffentlichen Raum realisiert. Das Ensemble des Leuze-Mineralbads (1978–1983) oder jenes der Zentrale der Sparda-Bank Baden-Württemberg am Hauptbahnhof (1998/99) sind fester Bestandteil der architektonischen Stadtlandschaft. Auf Großplastiken Hajeks trifft man im Skulpturenpark auf dem Hasenberg, am Eingang des Waldfriedhofs, vor dem Bürgerzentrum West und ebenso an der Theodor-Heuss-Straße – dort erinnert das »Stadtzeichen Stuttgart« (1969/1974) an die einstige Gestaltung des Kleinen Schlossplatzes. Hajek verstand seine Plastiken als ›Zeichen‹, die den unspezifischen Stadtraum zu einem Erlebnisort für die Menschen werden lassen.

Es würde allerdings zu kurz greifen, Hajek auf sein Wirken im öffentlichen Raum, das weit über die Grenzen Stuttgarts hinausreicht, zu reduzieren. In den knapp fünf Jahrzehnten seines künstlerischen Schaffens – dem ein Studium der Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart vorausging – entstand ein multimediales Gesamtwerk: Zentrale bildhauerische Fragen, die um das Verhältnis von Masse und Volumen, Form, Fläche und Farbe kreisen, lotete Hajek im wechselvollen Zusammenspiel von plastischem Objekt, Malerei und Grafik immer wieder aufs Neue aus.

Dieser digitale Themenraum zeichnet die künstlerische Entwicklung des Bildhauers nach und knüpft damit an die 2023 präsentierte Ausstellung »Otto Herbert Hajek« im Kunstmuseum Stuttgart an. In seinen figurativ-gegenständlichen Anfängen orientierte sich Hajek an christlich-religiösen Motiven und Abstraktionstendenzen der Moderne. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre entstanden feingliedrige Bronzen. In diesen Jahren entwickelte Hajek auch das Konzept der »Farbwege«, die darauf zielen, die Trennung von Objekt und Umraum aufzuheben. Um 1970 folgten dann seine geometrisch-konstruktiven »Raumzeichen« und »Stadtzeichen«.

Raumansicht

Stadtraum als Kunstraum

Die Stadt als Sozial- und Lebensraum war für Otto Herbert Hajeks Arbeit zentral. Seine Kunst sollte keine dekorative Funktion erfüllen, sondern sinnstiftend den Stadtraum erweitern. Er fasste seine Plastiken als eigenständige architektonische Strukturen auf, die sich an den vorhandenen Bauwerken eines Ortes orientieren, deren Wahrnehmung jedoch bewusst auch stören und so neue Deutungen eröffnen. Insbesondere bei Hajeks zahlreichen Platzgestaltungen wird dieser konzeptuelle Ansatz deutlich. Zu den international bekanntesten zählt der 1973 vollendete Vorplatz des Festival Centre in Adelaide, Australien. 
 

Für solche größeren Aufträge fertigte Hajek teils mehrere Dutzend Modelle und Druckgrafiken mit Varianten an. Dies gestattete es ihm, unterschiedliche Farbkombinationen und ihre Wirkung zu erkunden. Unter dem Titel »Platzmal« entwarf Hajek 1969 eine temporäre künstlerische Gestaltung für den Kleinen Schlossplatz in Stuttgart. Durch die Aufstellung zahlreicher Plastiken und die großflächige Bemalung des Bodens wandelte sich das Erscheinungsbild des Platzes grundlegend. Im Nachgang entstanden Mappen mit druckgrafischen Serien unterschiedlicher Farbvarianten seines Entwurfs.

Heimat als Triebkraft

Otto Herbert Hajeks böhmische Heimat prägte sowohl sein ästhetisches Empfinden als auch die Themen seines Frühwerks. Die Landschaft des Böhmerwalds sowie das reiche Schnitzwerk und die Figurenvielfalt in den katholischen Kirchen klingen in seinem Bildprogramm der ausgehenden 1940er- und 1950er-Jahre nach. In den bildhauerischen Arbeiten und Holzschnitten finden sich neben christlichen Motiven vor allem organische, naturnahe Formen. Es entstanden zahlreiche Auftragsarbeiten für Kirchenausstattungen. Nach figurativen Anfängen wandte sich Hajek bereits in den 1950er-Jahren der Abstraktion zu und fand so Anschluss an die avantgardistischen Strömungen seiner Zeit. 

Im Frühwerk dominiert neben Holz und Stein vor allem Bronze als bevorzugtes Material. Das Handwerk des Bronzegusses lernte Hajek an der Akademie in Stuttgart; er fertigte nicht nur die Rohformen selbst, sondern eignete sich alle Schritte des Herstellungsprozesses an. 

Eine kurze Episode des Holzschnitts begleitete Hajeks bildhauerisches Schaffen. So mutet die »Christusträgerin 1« auf Papier wie eine Proportionsstudie für die spätere gleichnamige Bronzearbeit an. 

Schon früh versuchte Hajek zudem, Kunst und Alltagswelt zu verbinden. 1956 schuf er mit »Durchbrochene Fläche im Raum« die erste abstrakte Plastik im öffentlichen Raum in Stuttgart (Liederhalle).

Die Freiheit der Form

Ab Mitte der 1950er-Jahre wandte sich Hajek dem Informel zu, einer Kunstrichtung, deren Vertreter:innen eine rational-konstruierende Arbeitsweise ablehnten und stattdessen den intuitiven und spontanen Umgang mit dem Material bevorzugten. Charakteristisch für Hajeks »Raumknoten« und »Raumschichtungen« ist das Zusammenspiel von gitterartigen Strukturen und organischen Formen. Die Plastiken schuf er mittels des Wachsausschmelzverfahrens. Dabei ummantelte er zum Beispiel Holzstäbe mit Wachs oder goss es in flüssiger Form auf den Boden, um die zufällig entstehenden Platten und Flächen in Bronze zu gießen. Diese frühen Werkgruppen stellen einen wichtigen Beitrag zur Bildhauerei des deutschen Informel dar, die auf die Auflösung des Massenvolumens der Plastik zugunsten ihrer Öffnung in den Raum zielte.

Hajek widmete sich Formfragen auch auf dem Papier: Seine Tuschezeichnungen variieren das Thema der »Raumknoten« und »Raumschichtungen« auf vielfältige Weise und ergründen das Verhältnis von geschlossener Form und Öffnung sowie von Fläche und Raum. Die »Briefe« leiteten eine neue Werkphase ein: In den mittel- und großformatigen Blättern korrespondieren flüchtig gesetzte kalligrafische Zeichen mit dichten Farbflächen. Hajek überzog das Papier mit farbigen, blockhaften Streifen, die die darunterliegenden Formen überlagern. In ihnen deuten sich die späteren »Farbwege« an, die zu einem zentralen Element in seinem Werk werden sollten.

Raumschichtung 131 Otto Herbert Hajek 1959
Raumknoten 80 Otto Herbert Hajek 1958

Farbwege

In den 1960er-Jahren verfestigten sich zwei grundlegende Ideen in Otto Herbert Hajeks Schaffen. Mit seinen Plastiken strebte er zusehends in den öffentlichen Raum und damit in die Alltagswelt des Menschen. Für Hajek waren der Kunstschaffende wie auch die Kunst sowohl in die Natur als auch in eine soziale Ordnung eingebettet. Seine Werke sollten in die Gesellschaft hineinwirken, wofür er unterschiedliche Strategien entwickelte. So entwarf er zum einen begehbare Plastiken – wie etwa »Frankfurter Frühling« (1962/64) für die »documenta III« in Kassel. Durch die Möglichkeit, die Plastik umschreiten zu können, sollte bei den Betrachtenden ein Nachdenken über die eigene Gegenwart angeregt werden. Hajeks Arbeitsweise löste sich wieder vom Informel und erhielt einen mehr konstruktiven und architektonischen Charakter. Die rahmenartigen Einfassungen seiner Plastiken bilden einen Raum im Raum aus.

Für das zweite zentrale Prinzip in Hajeks Arbeit stehen die »Farbwege«. Sie waren nun kein einzelnes Phänomen mehr, sondern durchzogen sein gesamtes plastisches und grafisches Werk der 1960er- und 1970er-Jahre. Die in den drei Grundfarben gehaltenen Streifen dachte Hajek dabei nicht als malerische Elemente, sondern maß ihnen eine räumliche Qualität bei. Sie dienten als Verbindungsglieder zwischen dem Betrachtenden und dem Kunstwerk und sollten bewusst den Blick irritieren. Eine der eindrücklichsten Umsetzungen der Idee der »Farbwege« war die 1966 ausgerichtete Ausstellung in der Esslinger (op) art galerie. »Farbwege« verliefen über die Werke und durch den Ausstellungsraum – und endeten dort nicht: Sie erstreckten sich über das Gebäude, die Straßen entlang durch die Stadt bis hin zum Marktplatz und über die dortigen Skulpturen. Von Flugzeugen ausgestoßene farbige Kondensstreifen bezogen auch den Luftraum mit ein. Hajeks Ziel war es, eine bewusstere Wahrnehmung des (Stadt-)Raums zu ermöglichen.

Farbwege 67/11 Otto Herbert Hajek 1967

»Farbwege gehen über Städte und machen die Stadt dem Menschen als artifizielle Einheit bewusst. Farbwege konfrontieren den Menschen mit seiner Umwelt. Farbwege bringen Abwesendes zur Anwesenheit. Farbwege bringen Kunst auf den Weg. Farbwege sind Nuklearformen. Farbwege sind eine urbanistsche Idee. Farbwege sind eine räumliche Disziplin. Farbwege erklären Entfernungen, sind Erinnerungsmaß und räumliche Ordnung.«

Otto Herbert Hajek

Zeichen am Weg

Der Malerei wandte sich Hajek in den 1970er-Jahren zu. Die Gemälde spiegeln sein bildhauerisches Interesse an der Form, sie funktionieren selbst wie zweidimensionale Plastiken. Über rhythmisch angeordnete, geometrische Flächen in den Grundfarben ziehen sich seine »Farbwege« als Balken. Die von Hajek gewählten Rahmungen erinnern an bauliche Einfassungen und betonen so sein architektonisches Denken.

Mit der Malerei tauchte ein neues Element in Hajeks Arbeiten auf: Gold. Von den bis dahin genutzten Farben setzte es sich nicht nur durch seine Licht reflektierende Eigenschaft ab, sondern auch durch die Art des Auftrags. Hajek verwendete Transfergold in Form quadratischer Blättchen. Dies ermöglichte es ihm, eine Form von Räumlichkeit zu erzeugen, an der es ihm aus bildhauerischer Sicht in der Fläche mangelte. Der Auftrag erfolgte zum Schluss und konnte den Bildaufbau so noch einmal maßgeblich beeinflussen. Auch hier wirkte Hajeks böhmisch-katholische Prägung nach. Gold als edles Material, das in der christlichen Bildkultur eine zentrale Rolle spielt, brachte eine Feierlichkeit und Wertigkeit ein, die Hajeks nüchterne Bildkonstruktionen emotional auflud.

Für seine Plastiken nutzte Hajek häufig den Begriff »Zeichen«. Er sah sie als Stationen, die dem Menschen im Alltag begegnen, ihn zum Nachdenken anregen und das Bewusstsein für seine Umgebung schärfen. Hajek zielte dabei nicht auf ästhetische Gefälligkeit, auch setzte er kein Vorwissen beim Betrachtenden voraus. Sein Interesse war von einer demokratischen und sozialen Grundhaltung geleitet. Hajek ging es um den Dialog zwischen Kunst und Mensch.

Wegezeichen 17 Otto Herbert Hajek 1998/1999