Malerinnen der Jahrhundertwende – Wo seid ihr?

Emma Joos, Zwei Kinder mit Blumen, ohne Jahr

Nahezu jede größere Stadt bietet in früheren Jahrhunderten Männern die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Künstler zu absolvieren. In Stuttgart legt Herzog Carl Eugen von Württemberg den Grundstein hierfür mit der Gründung der Carlsschule 1770. Später folgen die Kunstschule und die Kunstgewerbeschule. Doch wie ist es um die Möglichkeiten für Frauen gestellt? Ihre Ausbildung findet zunächst im eher privaten Rahmen statt. Häufig werden sie, wenn sie wie die Schwestern Anna und Pietronella Peters aus einer Künstlerfamilie stammen, von Angehörigen unterrichtet. Erst nach und nach öffnen die Lehranstalten ihnen ihre Pforten. Im Unterschied zu anderen Städten haben junge Frauen in Stuttgart jedoch vergleichsweise früh die Möglichkeit, an der Kunstschule zu studieren, da man es bei der Gründung versäumt hat, in den Leitlinien das Frauenstudium explizit zu regeln. Diese Lücke wissen die Frauen zu nutzen, im Wintersemester 1864/65 sind acht Studentinnen eingeschrieben. Als sie jedoch immer zahlreicher werden, reagieren die Professoren und gründen eine Damen-Malschule, mit der sie die Frauen faktisch ausgliedern. Daraufhin ergreifen die jungen Künstlerinnen die Initiative: 1893 wird der Württembergische Malerinnen-Verein mit der Malerin Anna Peters als Vorsitzenden gegründet. Hier können Frauen Kurse in den Fächern »Aktzeichnen« und »Lithografie« belegen. Zudem werden unter anderem Mitgliederausstellungen organisiert, Königin Charlotte von Württemberg übernimmt die Schirmherrschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Verein umbenannt in den Bund Bildender Künstlerinnen. Noch heute hat er seinen Sitz in der Eugenstraße.

Raumansicht

In ihrem Gemälde hat Anna Peters eine Blütenpracht zusammengestellt. Schon früh spezialisiert sie sich auf Blumenbilder, was sicherlich auch in den niederländischen Wurzeln der Familie begründet liegt. Zunächst malt sie in ihren Stillleben mit zartem Pinselstrich und großer Detailgenauigkeit meist Rosen, später werden ihre Motive immer üppiger. In den rein zufällig wirkenden Zusammenstellungen finden sich die unterschiedlichsten Feld- und Wiesenblumen. Oft kombiniert sie sie mit Früchten und Gemüse. Und manchmal fügt sie sogar, wie hier am linken Bildrand, einen Schmetterling hinzu. Angeregt vom französischen Impressionismus arbeitet sie ab 1890 meist im Freien, der Pinselstrich wird leichter und das flirrende Licht umfängt stimmungsvoll ihre Bilder.

Anna Peters ist die Grande Dame der Stuttgarter Künstlerszene um 1900. Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits entstammt sie einer Künstlerfamilie. Gemeinsam mit ihren Schwestern Pietronella und Ida sowie den beiden Brüdern der Mutter erhält sie bei ihrem Vater, dem niederländischen Landschaftsmaler Pieter Francis Peters, umfassenden Malunterricht. Sie hilft in der väterlichen Kunsthandlung mit und kann dadurch die Werke der Familie äußerst erfolgreich auf dem Kunstmarkt und in Ausstellungen platzieren. Schon früh hat sie Erfolg und kann als eine der ersten Frauen in Deutschland von ihrer Kunst leben. 

Anna Peters malt bis ins hohe Alter. Darüber hinaus engagiert sie sich zeitlebens für die Gleichstellung der Malerinnen. 1893 ist sie Mitbegründerin des Württembergischen Malerinnen-Vereins, dessen Vorsitz sie viele Jahre innehat und den sie auch finanziell unterstützt.

Blumenstilleben Anna Peters ohne Jahr
Drei Kinder in der Stube mit Blumen Pietronella Peters ohne Jahr

In diesem Gemälde sitzen drei Mädchen zusammen in einer einfach eingerichteten Stube und binden aus den auf dem Tisch liegenden gesammelten Blumen kleine Sträuße. Sie sind ganz in ihre Tätigkeit versunken. Auf dem Tisch steht links bereits ein Blumenstrauß. Durch das geöffnete Fenster fällt Licht. Insgesamt wirkt die Szene ruhig und friedvoll. Gerade mit solch einfühlsamen Kinderporträts hat Pietronella Peters Erfolg, wenngleich sie weniger bekannt ist als ihre Schwester Anna.

Gemeinsam mit ihren Schwestern Anna und Ida wird Pietronella Peters von ihrem Vater, dem niederländischen Landschaftsmaler Pieter Francis Peters, unterrichtet. Von Ida sind bisher keine Werke bekannt, sie wird aber in den Unterlagen des Württembergischen Malerinnen-Vereins als Kunstfreundin genannt. Hingegen streben Pietronella und Anna ihre Unabhängigkeit als selbstständige Künstlerinnen an, was sich auch bei den motivischen Schwerpunkten ihrer Malerei zeigt. Im Gegensatz zum Vater bevorzugt Anna Blumen und Pietronella spezialisiert sich auf Kinder- und Genredarstellungen. 

Pietronella Peters lebt ab 1912 gemeinsam mit ihren Schwestern Ida und Anna in Stuttgart-Sonnenberg im eigenen Haus mit zwei Ateliers, wo sie bis ins hohe Alter künstlerisch aktiv ist.

Zwei Mädchen stehen in einer üppigen grünen Wiese. Das warme Licht der Sonne spiegelt sich im weißen Kleid des kleinen Mädchens. Ausgehend vom Kleid des größeren Kindes sind die violetten Farbtöne mal mehr, mal weniger intensiv auf der Bildfläche verteilt und bilden einen Kontrast zu den Gelbtönen.

Emma Joos gehört zu der frühen Generation engagierter Künstlerinnen in Deutschland. Sie beginnt ihre Ausbildung an der Stuttgarter Kunstschule und wechselt im Anschluss nach München. Da es jungen Frauen in München jedoch noch nicht möglich ist, an der renommierten Akademie zu studieren, besucht Emma Joos Kurse an der privaten Damenakademie, die vom 1882 gegründeten Münchener Künstlerinnen-Verein eingerichtet wird. Hier lernt sie ihren Lehrer Christian Landenberger kennen. Als er 1905 an die Stuttgarter Akademie berufen wird, zieht Emma Joos auch wieder nach Stuttgart zurück. Christian Landenberger zählt zu den Hauptvertretern des schwäbischen Impressionismus und gibt dessen wesentliche Impulse an seine Schüler:innen weiter. Auch die Arbeiten von Emma Joos lassen diesen Einfluss erkennen. Meist malt sie ihre Landschaftsdarstellungen direkt im Freien und setzt die Stimmung in ihren Gemälden mit leichtem Pinselstrich um.

Im Anschluss an ihre Rückkehr nach Stuttgart wird Emma Joos Mitglied im Württembergischen Malerinnen-Verein. Aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Situation nach dem Ersten Weltkrieg wohnt sie ab 1928 bis zu ihrem Tod 1932 in einer Atelierwohnung im Vereinshaus in der Eugenstraße. Darüber hinaus ist sie viele Jahre Mitglied im Frauenkunstverband, einem wichtigen Künstlerinnennetzwerk, das 1913 unter Vorsitz von Käthe Kollwitz in Frankfurt ins Leben gerufen wird. Der Verband gehört zu den ersten Berufsvertretungen bildender Künstlerinnen in Deutschland.

Zwei Kinder mit Blumen Emma Joos 1910
Mädchen in rotem Kleid Helene Wagner ohne Jahr

Ein Mädchen sitzt auf einer Bank. Es hat die Hände ruhig in den Schoß gelegt. Der Blick ist auf etwas außerhalb des Bildes gerichtet, und fast scheint es so, als lächele das Mädchen ein wenig. Wie bei den meisten Mädchenporträts von Helene Wagner strahlt auch dieses Kind Ruhe und Würde aus, wodurch zugleich ein Hauch von Melancholie entsteht. 

Schon früh fällt die künstlerische Begabung von Helene Wagner auf. Auch ihrem Patenonkel, dem Maler Otto Reiniger, einem Vertreter des schwäbischen Impressionismus, wird dies nicht entgangen sein. Nach einem Studium in Stuttgart geht Helene Wagner 1903 nach München, wo sie die Damenklasse des dortigen Künstlerinnenvereins besucht. In Bayern sind Frauen zu dieser Zeit noch nicht an der Akademie der Bildenden Künste zugelassen und müssen deswegen auf private Einrichtungen ausweichen. Hier lehrt Christian Landenberger, ebenso ein Vertreter des Impressionismus, bevor er einem Ruf nach Stuttgart folgt. Mit seinem locker aufgetragenen, aber kräftigen Pinselstrich und der auf verschiedenen Blautönen abgestimmten Palette beeinflusst er Helene Wagner nachhaltig. Besonders mit ihren Porträts hat sie großen Erfolg und kann als freischaffende Malerin finanziell unabhängig leben.

Nach ihrer Rückkehr aus München führt Helene Wagner in Stuttgart ein eher zurückgezogenes Leben, über das man nur wenig weiß. Es entstehen jedoch immer wieder Porträts der engsten Familienmitglieder. Das Mädchen im roten Kleid ist ihre Nichte Sigrid.

Die mit Bleistift ausgeführte Stube zeigt, wie wichtig Paula Freiin von Waechter-Spittler, die als Künstlerin mit Paula von Waechter signiert, die Beherrschung der Zeichenkunst ist. Mit parallelen, aber in unterschiedlichen Richtungen gesetzten Bleistiftstrichen gelingt es ihr, das warme Sonnenlicht wiederzugeben, das die ganze Stube erfüllt. Viele Details, wie der typische Stuhl und die einfache Architektur, verweisen auf eine Bauernstube. Mit der großen Zimmerpflanze und dem kleinen an der Decke hängenden Vogelkäfig strahlt sie Gemütlichkeit aus und wirkt einladend.

Paula von Waechter absolviert von 1878 bis 1889 eine Ausbildung an der Stuttgarter Kunstschule. Ungewöhnlich ist, dass sie zwischen 1884 und 1885 nach Paris aufbricht, um dort einige Zeit zu leben und zu studieren. Wie auch andernorts in Europa dürfen Frauen in der französischen Metropole bis ins Jahr 1897 nicht an der Kunstakademie studieren. Sie müssen auf andere Institutionen ausweichen. Eine der erfolgreichsten privaten Kunstschulen der Zeit ist die Académie Julian. Sie steht allen offen, unabhängig von Herkunft, Alter und Geschlecht. Gerade für Frauen und die von der Akademie zurückgewiesenen modernen Maler bietet die Académie Julian eine große Chance. 

Nach ihrer Rückkehr nach Stuttgart bildet sich Paula von Waechter in den Kursen von Adolf Hölzel an der Kunstakademie fort. Sie bleibt jedoch zeitlebens der figürlichen Darstellung treu. 

Bauernstube Paula von Wächter ohne Jahr
Mädchenporträt mit Kirschen Clara Rühle 1924

Das Porträt der Künstlerin Clara Rühle zeigt eine junge Frau, deren ernster Blick in die Ferne schweift. In ihren Händen hält sie eine kleine Schale mit Kirschen. Mit ihrer orangefarbenen Bluse hebt sich die Frau deutlich von dem grünen Hintergrund ab. Dunkle Konturen betonen die Porträtierte und unterstreichen die sachliche Darstellung. 

Clara Rühle beginnt ihre Ausbildung 1907 an der Städtischen Gewerbeschule in Stuttgart und setzt sie bis 1913 an der Kunstgewerbeschule fort. Später schließt sich ein vierjähriges Studium an der Akademie der Bildenden Künste an, das sie 1920 beendet. In dieser Zeit wird die Lehre an der Stuttgarter Akademie einerseits stark durch den Pionier der abstrakten Malerei Adolf Hölzel geprägt. Andererseits hat der Maler Heinrich Altherr, der hier als Professor lehrt, großen Einfluss auf die Studierenden. Im Gegensatz zu Hölzel bleibt er der figürlichen Gegenständlichkeit treu. Wie viele seiner Schüler:innen besucht Clara Rühle Kurse bei beiden Lehrern, vertritt aber mehr die Bildauffassung von Altherr und entwickelt in der Folge ihren eigenen Stil im Sinne der Neuen Sachlichkeit. Mit ihren Arbeiten ist sie in zahlreichen Ausstellungen erfolgreich vertreten. 

Unrühmlich jedoch ist ihre Rolle als Vorsitzende des Württembergischen Malerinnen-Vereins, die sie von 1933 bis 1945 bekleidet. In dieser Zeit wird der Verein in die Reichskunstkammer aufgenommen und damit gleichgeschaltet. Die frauenspezifischen Ziele werden in der Satzung gestrichen und ihre jüdischen Kolleginnen verlieren ihre Mitgliedschaft. Später wird Clara Rühle, die Mitglied der NSDAP ist, nicht mehr gewählt, sondern direkt vom Präsidenten der Reichskunstkammer im Amt bestätigt.

Überbordend stehen bunte Blumen in einer Vase und füllen fast den gesamten Bildraum aus. Dennoch ist im Bildhintergrund deutlich eine Frau an der Staffelei zu erkennen. Maria Caspar-Filser stellt sich hier selbst hinter einem ihrer Lieblingsmotive dar. Mit einem Pinsel in der Hand zeigt sie sich konzentriert bei der Arbeit. Ihr Blick ist nachdenklich auf den Blumenstrauß gerichtet.

Der künstlerische Weg von Maria Caspar-Filser ist für die damalige Zeit ungewöhnlich. Als 10-jähriges Mädchen bekommt sie von der Familie einen Malkasten geschenkt. Später studiert sie in Stuttgart und München Malerei. Sie wird Mitglied des Württembergischen Künstlerinnen-Vereins und des Deutschen Künstlerbunds. Als einzige Frau gehört sie 1919 zu den Gründungsmitgliedern der Neuen Secession München. Sie nimmt an der Biennale in Venedig teil und erhält 1925 als erste Malerin in Deutschland vom Freistaat Bayern den Professorinnentitel.

Maria Caspar-Filser legt sich in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise nicht fest. Angeregt von Malern wie van Gogh oder Cézanne, kennt sie auch die Farbexplosionen expressionistischer Werke. Die Farben ihres Blumenstraußes sind nicht fest umrissen, wie es damals sehr beliebt ist, sondern greifen ineinander. Der freie, manchmal fast wilde Pinselstrich setzt sich im Hintergrund fort. Mit diesem lebhaften Umgang mit Farbe gehört sie zur Avantgarde. Ihr Beitrag zur modernen Kunst wird von ihrem Mann Karl Caspar, der ebenfalls Maler ist, unterstützt. Während des Krieges verzichtet er sogar auf die eigene Malerei, um seiner Frau die wenigen zur Verfügung stehenden Malmaterialien zu überlassen. 

Blumenstrauß u. Selbstbildnis Maria Caspar-Filser 1923
Eduard Reinacher Käte Schaller-Härlin 1928

Käte Schaller-Härlin beginnt in den 1920er- und 1930er-Jahren mit der Porträtkunst, die zu einem ihrer Schaffensschwerpunkte wird und die sie bis ins hohe Alter ausübt. Den hier dargestellten Eduard Reinacher, der neben seinen Gedichten mit Erzählungen und Hörbüchern bekannt wird, lernt sie in ihrem Stuttgarter Bekanntenkreis um Theodor Heuss und Elly Heuss-Knapp kennen. 

Leicht nach vorne gebeugt, sitzt Eduard Reinacher auf einer Bank. Seine kraftvollen Hände sind ineinandergelegt. Mit feinen Farbnuancierungen gestaltet Käte Schaller-Härlin dieses Bildnis, bei dem sie die Hände und das nachdenkliche Gesicht mit dem aufmerksamen Blick betont. Die Keramikgefäße zu beiden Seiten Reinachers erinnern an ihre Schwester, die Keramikerin Dorkas Schaller, die 1923 Eduard Reinacher heiratet.

Käte Schaller-Härlin kann auf eine beeindruckende Ausbildung zurückblicken, obwohl es ihr als Frau verwehrt ist, an der Kunstakademie zu studieren. Schon als 16-Jährige besucht sie verschiedene Kurse an der Städtischen Kunstgewerbeschule und beim Württembergischen Künstlerinnen-Verein. Später zieht es sie für zwei Jahre nach Florenz und Rom, wo sie ihr Studium der Aktmalerei und der Alten Meister intensiviert. Prägend ist auch ihr Aufenthalt in Paris, bei dem sie durch ihren Lehrer Maurice Denis die Kunst Cézannes kennenlernt und auf Vermittlung von Rainer Maria Rilke Auguste Rodin trifft. Nach ihrer Rückkehr arbeitet sie ab 1907 als selbstständige Künstlerin und kann sich schnell einen Namen als Kirchenmalerin machen. Viele Kirchenfester und monumentale Wandbilder, wie etwa in der Gaisburger Kirche in Stuttgart, entstammen ihrem Pinsel.