Laboratorium Lack

Das Geschenk des Freundeskreises

Ohne Titel Willi Baumeister 1941/42
Ohne Titel Oskar Schlemmer ohne Jahr

Auf Vermittlung von Felicitas Baumeister, Tochter und Nachlassverwalterin Willi Baumeisters, erwirbt der Verein der Freunde des Kunstmuseums 2006 insgesamt 175 experimentelle Lackbilder von Baumeister, Oskar Schlemmer und Franz Krause. Das entspricht ganz dem wichtigsten Wunsch des Freundeskreises: Er möchte nämlich das Kunstmuseum unterstützen und kauft dafür Werke, die die Sammlung ergänzen.

Die Lackbilder haben einen engen lokalen Bezug zu Stuttgart: Alle drei Künstler sind mit der Akademie der Bildenden Künste verbunden gewesen. Baumeister ist hier geboren. Krause leitet 1927 den Bau der Weißenhofsiedlung. Auch Kurt Herberts, Direktor der gleichnamigen Wuppertaler Farbenfabrik, hat hier studiert. Er führt die drei Künstler im sogenannten Maltechnikum zusammen.

In einer großen Spendenaktion sammelte der Förderverein den für den Ankauf erforderlichen Betrag. Damit stellt er dem Kunstmuseum unvergleichliche Kunstwerke zur Verfügung. Sie gewähren Einblick in den Prozess dreier sehr verschiedener Künstler. Auch erweitern sie das Verständnis von den engen Räumen, in denen in den Jahren der NS-Diktatur in Deutschland noch avantgardistische Kunst entstehen konnte.

Raumansicht

Das Wuppertaler Maltechnikum der Lackfabrik Dr. Kurt Herberts & Co.

1937 beginnt unter der Obhut des Chemikers, Lackfabrikanten und Kunstsammlers Kurt Herberts ein ungewöhnliches künstlerisches Projekt: Willi Baumeister, Franz Krause und Oskar Schlemmer kommen in Herberts Wuppertaler Fabrik zusammen. Sie sollen sich mit gestalterischen Aufgaben und den Möglichkeiten neuzeitlicher Maltechnik befassen, insbesondere mit der Anwendung industrieller Lackfarben. Krause ist zuvor bereits als Architekt am Ausbau der Fabrik beteiligt. Baumeister und Schlemmer sind beide 1933 aus dem Lehramt entlassen worden. Ihre Kunst gilt als verfemt. Ihnen bietet das Projekt einen wichtigen Beitrag zum Lebensunterhalt. Alle drei werden auch für dekorative oder typografische Arbeiten der Fabrik herangezogen und beteiligen sich an Herberts maltechnischen Publikationen.

1940 wird für das interdisziplinäre Atelier in Wuppertal eigens ein Haus angemietet und eine Sammlung zur Malstoffkunde aufgebaut. Damit setzt die etwa zwei Jahre dauernde, produktivste Phase der Gruppe ein. Der frühe Tod Schlemmers sowie die Zerstörung des Ateliers durch einen Bombentreffer 1943 bedeuten erhebliche Einschnitte der Arbeit. Bis Oktober 1944 treibt vor allem Baumeister das Projekt noch voran. Um die Ergebnisse der künstlerischen Forschung zu veröffentlichen, erstellt er das Typoskript »Modulation und Patina«. Es erscheint aber erst 1989 als stark durch Herberts verändertes Buch.

Zählt man die Kriegsverluste und den heute im Kunstmuseum erhaltenen Bestand an Lacktafeln zusammen, dürfte die Gruppe mindestens 300 der experimentellen Werke produziert haben. Im Schaffen der drei Künstler stellen sie einen wichtigen Werkkomplex dar. Sie sind zugleich ein bedeutender Schritt in der Entwicklung gegenstandsloser Kunst.

Ohne Titel Willi Baumeister 1941

Der Künstler als Material(geschichts)forscher. Willi Baumeister zwischen Wuppertal und Stuttgart

1933 wird Willi Baumeister von den Nationalsozialisten aus der Lehrtätigkeit an der Frankfurter Städelschule entlassen. Auch die Betätigung als avantgardistischer Künstler ist in der Diktatur stark eingeschränkt. Von Stuttgart aus versucht er vor allem durch gestalterische Aufträge den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Für die Lackfarbenfabrik von Kurt Herberts übernimmt er ab 1936 typografische Aufgaben. Bald wird die Tätigkeit dort zur Künstlerforschung erweitert. Baumeister kann so seine Experimente mit freien Formen und ungewöhnlichen Materialkombinationen fortsetzen. Die Ergebnisse gehen in die von Herberts herausgegebene Schriftenreihe zu maltechnischen Fragen ein. 1939/40 entwickelt er einen 18-teiligen Zyklus für das Treppenhaus des neuen Laborgebäudes der Fabrik. Dazu greift er auf die Bandbreite der zuvor von ihm untersuchten Wandmalereitechniken zurück.

Baumeisters Lacktafeln sind geprägt durch ein Verständnis, dass Farbe nur eines von vielen Materialien ist, die sich auf den Bildträger auftragen lassen. So streut er beispielsweise Sand in den noch feuchten Lack. Dadurch wird die Farbe zugleich Bindemittel des eigentlich der Malerei fremden Materials. In anderen Tafeln setzt er blockhafte Farbtupfer nebeneinander oder trägt verdünnte Spachtelmasse auf. Für ihn ist das Maltechnikum Ort der künstlerischen Radikalisierung zur ungegenständlichen Kunst.

Ohne Titel Oskar Schlemmer 1941
Ohne Titel Oskar Schlemmer
Ohne Titel Oskar Schlemmer
Ohne Titel Oskar Schlemmer ohne Jahr

Von der Formlosigkeit. Oskar Schlemmer im Maltechnikum

Auch Oskar Schlemmer verliert durch die Nationalsozialisten 1933 sein Lehramt. Das Angebot zur Mitarbeit in Wuppertal ist eine willkommene Möglichkeit, den künstlerischen Handlungsraum wieder zu erweitern. Im Gegensatz zu Baumeister, der zwischen Stuttgart und Wuppertal pendelt, siedelt Schlemmer dorthin über.

Von den Künstlern des Maltechnikums treibt er das Experiment am weitesten in Richtung Formlosigkeit. Manche Ergebnisse lassen an marmorierte Papiere denken. Andere wirken wie Sandoberflächen oder Wolkenformationen. Hierzu trägt er beispielsweise unterschiedlich stark verdünnte Farben in Schichten auf. Darüber tropft er punktuell Lösemittel. Dadurch wird die Farbe stellenweise wieder verdrängt. Die entstehenden Muster sind tendenziell endlos in alle Richtungen erweiterbar. In anderen Arbeiten sind die Farben ausdrucksstark verdichtet. Sie sind zufällige Bildungen, an denen ihn „das Faszinierende von Zufallsfarbflecken auf der Palette oder anderes Zufälliges wie Ölflecken, der auf Papier ausgestrichene Pinsel“ interessiert. Das Verfahren spiegelt Schlemmers Versuch, jede bewusste oder unbewusste Form im Malen hinter sich zu lassen.

Einige Tafel in warmen Rottönen rufen Erinnerungen an japanische Lackarbeiten wach. Solche waren in der Sammlung des Maltechnikum vorhanden. Sie werden bei der Bombardierung 1943 zerstört. Jäh bricht im gleichen Jahr auch Schlemmers Produktion mit seinem frühen Tod ab.

Ohne Titel Franz Krause 1941
Ohne Titel Franz Krause 1941
Ohne Titel Franz Krause 1942
Ohne Titel Franz Krause 1941
Ohne Titel Franz Krause 1941
Ohne Titel Franz Krause ohne Jahr

Fantasie & Experiment. Franz Krauses Spiel mit dem Unbewussten

Franz Krause ist vor dem Wuppertaler Arbeitskreis vor allem als Architekt tätig. Auch sein Kontakt zu Herberts entsteht über Bauprojekte in dessen Fabrik Mitte der 1930er Jahre. Daneben sucht er in Arbeiten auf Papier künstlerischen Ausdruck. Allerdings vernichtet er 1936 den Großteil seiner frühen Aquarelle.

Krause ist in seinen Tafeln bestrebt um einen Ausdruck des »Unbewussten«. Darin ist er eindeutig durch die Surrealisten beeinflusst. Der Künstler selbst sollte so wenig Einfluss wie möglich nehmen. Stattdessen soll die »Natur« die Arbeit am Bild verrichten. Wie in der Architektur ist er in der bildnerischen Arbeit auf organische Entwicklungen und Strukturen fokussiert.

Dazu wendet er eine Vielzahl von Techniken an. Beim »Dripping« experimentiert er mit verschiedenen Tropftechniken und der Kombination von Aquarell und Lackfarben mit Lösemitteln. Bei anderen Tafeln sprüht er Farbe über Schablonen. Für unterschiedliche Schärfen und Farbsättigung variiert er die Entfernung zwischen Schablone und Bildträger. Die in dieser Technik erstellten Tafeln zeichnen sich durch weiche Farbübergänge aus. Manche von ihnen wirken gar wie im fotografischen Verfahren gewonnen. Auch stellt Krause den Bildgrund selbst in Frage: 1942 arrangiert er durch Flammen versengte Papiere zu abstrakten Figuren. Die »Brandcollagen« können als früheste Verwendung von Feuer als Künstlermaterial gelten. Aus dem Blickwinkel der Malerei erscheinen Krauses Tafeln für das Maltechnikum teilweise sehr ungewöhnlich. Sie lassen den oft in Rastern und Waben denkenden Architekten durchscheinen.