Doppelkäseplatte – 100 Jahre Sammlung und 20 Jahre Kunstmuseum

Grafik zur Ausstellung »Doppelkäseplatte«

Herzlichen Glückwunsch!

Bulldogge mit gelben Blumen Fritz Lang ohne Jahr
Blumen Ida Kerkovius circa 1930
Rosen Johannes Itten 1916
Doppelkäseplatte Dieter Roth circa 1968

2025 feiert das Kunstmuseum Stuttgart ein doppeltes Jubiläum: 100 Jahre Sammlung und 20 Jahre Neubau am Schlossplatz. Aus diesem Grund wird die Museumssammlung umfassend im gesamten Haus präsentiert – sowohl in den Räumen, die vornehmlich der Sammlung vorbehalten sind, als auch im sogenannten Kubus, in dem Wechselausstellungen gezeigt werden.

Titelgebend für die Ausstellung ist das monumentale Lebensmittelbild »Doppelkäseplatte« (1968) von Dieter Roth (1930–1998) aus der Sammlung. Es besteht aus vier verschiedenen Käsesorten, deren Oberflächenstruktur sich durch Zersetzungs- und Schimmelprozesse schon bald veränderte. Das Werk reift stetig nach. Im Einsatz vergänglicher Materialien finden bei Roth programmatische Fragen zur Produktion, Wahrnehmung und Deutung sowie Eigendynamik von Kunst Ausdruck. Das künstlerische Schaffen von Roth ist deshalb ein gutes Beispiel dafür, wie sich der Kunstbegriff, also das, was Kunst ist und auszeichnet, im Laufe der Zeit ändert.

Die Ausstellung ist gegliedert in sieben Themenräume, die die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Kunstmuseums spiegeln und die individuellen Handschriften der Kurator:innen tragen. Dabei werden historische Zusammenhänge der Sammlung ebenso aufgezeigt wie deren Einbettung in heutige lebensnahe Fragestellungen. So entstehen neue Sichtweisen auf die Sammlung – sowohl bei denen, die täglich mit ihr umgehen als auch bei den Besucher:innen. 

Spannungsvolle Inszenierungen ergeben sich durch die Gegenüberstellung von Werken, die lange nicht oder noch nie zu sehen waren, mit aktuellen Schenkungen und Neuerwerbungen.

Raumansicht

eindeutig konkret

2009 wird die Sammlung Konkreter Kunst von Heinz und Anette Teufel dem Kunstmuseum übergeben. Seitdem bildet diese Kunstrichtung einen Schwerpunkt des Museums. Konkrete Kunst beschäftigt sich, beruhend auf mathematisch-geometrischen Grundlagen, mit den Mitteln der Kunst – mit Farbe, Form und Linie. In der Konkreten Kunst sind die Grenzen zwischen Kunst, Design und Architektur aufgehoben. 

Rund 225 Gemälde und Zeichnungen von Anton Stankowski (1906–1998) werden dem Kunstmuseum 2022 von der Stankowski-Stiftung geschenkt. Stankowski führt ab 1938 in Stuttgart ein Grafikdesign-Studio. Von ihm stammt unter anderem das Logo der Deutschen Bank. Parallel zur Werbegrafik fotografiert und malt er Zeit seines Lebens. In seinen vielen Gemälden werden regelmäßige Ordnungen durch Störeffekte durchbrochen. 

2016 erhält das Kunstmuseum eine Schenkung von Gemälden Karl Duscheks (1947–2011). Duschek leitet ab 1981 zusammen mit Stankowski das grafische Atelier Stankowski+Duschek. Er beschränkt sich häufig auf die Grundfarben Gelb, Blau und Rot. Seine Titel beschreiben die Anordnung der Formen auf der Fläche.

Audiobeitrag

eindeutig konkret

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Ohne Titel Albrecht/d. ohne Jahr

Politische Untiefen

2017 und 2022 werden Teile des Nachlasses von Albrecht/d. (1944–2013) und Dietrich Fricker (1928–2011) in die Sammlung des Kunstmuseums aufgenommen. Beide Künstler waren politisch aktiv. Ihr Werk spiegelt die gesellschaftlichen Konflikte von den 1960ern bis in die 2000er-Jahre. 

Beide gehören zur Fluxus-Bewegung der 1960er-Jahre. Bei dieser Kunstrichtung kommt es nicht auf das fertige Kunstwerk an. Vielmehr geht es um die Idee, dass Kunst und Leben fließend ineinander übergehen und dass alles zur Kunst werden kann. Dazu zählen zum Beispiel Gegenstände des Alltags sowie Musik, Geräusche, Videos, Licht und verschiedene Materialien wie Zeitungsschnipsel oder Fotos.

Albrecht/d. ist international vernetzt, wird aber in Stuttgart, wo er seinerzeit lebt, nur von wenigen wahrgenommen. Er nutzt alle künstlerischen Disziplinen für politische Stellungnahmen, veröffentlicht Flugblätter, Zeitschriftenreihen und macht Collagen. Er beschäftigt sich mit Fragen von Gewalt, Sexualität, Ausbeutung und Naturzerstörung. Als Musiker und Performer tritt er unter anderem mit Joseph Beuys auf. 

Dietrich Fricker macht Assemblagen. Assemblagen sind Objekte, die aus Dingen bestehen, die nicht unbedingt zusammengehören, aber einen neuen Zusammenhang bilden. Frickers Werke sind kritische Kommentare zu Themen wie Umweltverschmutzung, AIDS und den Auswirkungen des globalen Kapitalismus. 

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Politische Untiefen

Politische Untiefen

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Fisch und Wassergeister Dietrich Fricker 1992

Gegenwart Deluxe

Nach 1945 wird in der Kunst viel über den Menschen und seine Verstrickung in ökonomische Zusammenhänge nachgedacht. Künstler:innen stellen Fragen nach wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe und beginnen, einen neuen Umgang mit ihren Arbeitsmaterialien und Medien zu erproben.  

Die in diesem Raum versammelten Werke gewähren beispielhaft einen Einblick in diese Tendenzen der Gegenwartskunst. Sie zeigen, wie die Beschäftigung mit Wert, Ware, Individuum und Konsum immer wieder ins künstlerische Blickfeld rückt. 

Künstlerinnen wie Josephine Meckseper (* 1964) und Ina Weber (* 1964) greifen bis heute in ihren Arbeiten auf Formen des städtischen Raums zurück. Die dort vorherrschenden Materialien, wie Glas, Beton oder Kunststoff, finden Eingang in ihre Arbeiten und entfalten in den Werken eine symbolische Bedeutung. Malereien und Druckgrafiken von Gerda Brodbeck (1944–2008) und Andrea Büttner (* 1972) zeigen in sich gekehrte oder bettelnde Figuren. Die reduzierte Formensprache und »einfache« Machart der Werke, so etwa das selbst zugeschnittene Transparentpapier als Malträger bei Brodbeck, sind Teil der künstlerischen Auseinandersetzung mit Armut und im Fall von Brodbeck ihren Folgen für das eigene Schaffen. 

»Gegenwart Deluxe« möchte anhand unterschiedlicher Sammlungswerke den Versprechen und Unzulänglichkeiten eines von Konsum und Kapital geprägten Gesellschaftsentwurfs nach 1945 Ausdruck verleihen.

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Gegenwart Deluxe

Gegenwart Deluxe

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Konsum Gerda Brodbeck 1973
Hommage an Lidl Ina Weber 2006
forever Simone Eisele 2023
Nightsky 007321 Peter Granser 2009 - 2012
Beggar Andrea Büttner 2016
Peacemaker K.R.H. Sonderborg 1980
Ohne Titel (Bunker) Josephine Meckseper 2009

Kalte Körper

Digitale Technologien durchdringen unser Leben und unseren Alltag. Längst haben sie ihren Weg auch in die Kunst und die Praxis der Malerei gefunden. Tim Berresheim (* 1975) nutzt für seine Werke digitale Hilfsmittel wie Computer, Laser oder 3D-Scanner. Damit gelingt es ihm, gestische Momente zu simulieren, so als ob Farbe mit dem Pinsel auf den Bildträger aufgetragen wurde. An den Grenzen zwischen analoger und digitaler Malerei steht auch die ortsspezifische Wandarbeit, die er eigens für diesen Raum entwickelt hat. Über Ankäufe und Schenkungen seiner Werke konnte das Kunstmuseum Stuttgart in den vergangenen drei Jahren einen neuen Akzent in der eigenen Sammlung setzen.
Demgegenüber stehen die Positionen von Ben Willikens (* 1939), Lambert Maria Wintersberger (1941–2013) und Vivian Greven (* 1985). Sie haben sich für die spezifischen Eigenheiten von Farbe entschieden und arbeiten mit Öl- und Acrylfarben auf Leinwand. Doch auch diese Arbeiten können aus heutiger Sicht im Hinblick auf eine digitale Ästhetik gelesen werden: Von Grevens glatten Bildflächen scheint das kalte Leuchten einer Bildschirmoberfläche auszugehen. Wintersbergers Bildwelten zeigen verletzte Körperteile, die an frühe Renderings (computerbasierte Simulationen) in einem künstlichen unbekannten Raum erinnern. Auch die menschenleeren Räume von Willikens stellen Bezüge zu 3D-Modellen her, die von der Kälte sozialer Isolation und von einer ›dröhnenden Stille‹ erfüllt sind.

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Kalte Körper

Kalte Körper

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Höschen Sonja Yakovleva 2022–2023

Ausgekockt – neu eingedeckt

In den 1960er-Jahren kämpfen Künstlerinnen für mehr Sichtbarkeit in einem Kunstbetrieb, der von Männern beherrscht wird. Sie thematisieren in ihren Werken die Vorgaben einer Gesellschaft, die Frauen einen Platz im Haus zuweist.

Anne Marie Jehle (1937–2000) beginnt 1965 künstlerisch zu arbeiten. Ihr Werk ist vom Fluxus beeinflusst. Fluxus hebt die Grenzen zwischen Leben und Werk auf und nutzt Alltagsdinge für politische Stellungnahmen. Jehle geht kritisch mit weiblichen Rollenbildern – vor allem dem der Hausfrau –, Phänomenen der Macht und Identitätsfragen um. Sie verwandelt Gegenstände des häuslichen Umfelds und arbeitet bei ihren Objekten mit weiblichen Handwerkstechniken wie Stricken und Häkeln. Das humorvolle und sarkastische Hinterfragen weiblicher Lebensumstände zielt auf eine Befreiung der Frau als Mensch und Künstlerin von überkommenen Vorstellungen. 

Susanne Hofmann (* 1956) beschäftigt sich ebenfalls mit der eigenen Identität als Frau und Künstlerin sowie der gängigen Sozialisation von Mädchen in der Gesellschaft. In »Was ich werden möchte« verwendet sie einen eigenen Schulaufsatz und überstickt den Begriff ›Lehrerin‹ mit ›Künstlerin‹. Anstatt jedoch die Möglichkeit zu nutzen, das Wort von der Maschine sticken zu lassen, hat sie das Blatt unter der Nadel mit der Hand hin und her geführt und so einen individuellen Schriftzug erstellt.

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Ausgekockt – neu eingedeckt

Ausgekockt – neu eingedeckt

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Ohne Titel Anne Marie Jehle ohne Jahr
Vermerke Susanne Hofmann 1999/2001

Böse Geister

Die Wertschätzung und damit die Bedeutung von Otto Dix' vielfältiger Kunst mit ihren gesellschaftlich wichtigen Themen ist ungebrochen und spiegelt sich noch heute in Werken der Gegenwartskunst. So etwa in der 16-mm-Filminstallation »Entartete Kunst lebt« (2010) der israelischen Künstlerin Yael Bartana (* 1970). Darin werden die grotesken Figuren des Dada-Gemäldes »Kriegskrüppel« (1920) von Dix, dem berühmten Künstler der Neuen Sachlichkeit, zum Leben erweckt. Begleitet werden sie von einer bedrohlichen Geräuschkulisse. Dada(ismus) bezieht sich auf eine 1916 gegründete künstlerische und literarische Bewegung, die bürgerliche Werte der damaligen Gesellschaft ablehnt. Dix versteht sein Werk als scharfe Kritik an den gesellschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs. Die Nationalsozialisten zeigen es deshalb 1937 in der Schmähausstellung »Entartete Kunst«. Heute gilt es als verschollen, eine Vorzeichnung befindet sich jedoch im Besitz des Kunstmuseums. 

Anknüpfungspunkte an Dix' Werk finden sich auch in den zeichnerischen Arbeiten und in der aus verschiedenen Materialien und Techniken (einem Scherenschnitt und einer farbigen Projektion) bestehenden Mixed-Media-Installation der US-amerikanischen Künstlerin Kara Walker (* 1969). Sie sind einer Auswahl an Lithografien, Radierungen und Zeichnungen von Dix gegenübergestellt. Walker schätzt die Kunst von Dix aufgrund ihrer Direktheit. Sie selbst beschäftigt sich in ihren teils drastischen Arbeiten mit den Schattenseiten der amerikanischen Kultur – mit Rassismus, Sklaverei, Unterdrückung, Sexismus und Gewalt.

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Böse Geister

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Jamais vu – déjà vu

Was verbindet Adolf Hölzel (1853–1934), Ida Kerkovius (1879–1970), Markus Oehlen (* 1956), Frank Ahlgrimm (* 1965), das Künstlerkollektiv atelierJAK (* 1973/1974) und Dana Greiner (* 1988)? Nichts, wird die erste reflexhafte Reaktion beim Anblick der generationen-, geschlechter-, stil- und medienübergreifenden Präsentation sein, denn für sich betrachtet, sind die Teppiche, Glasfenster, Gemälde und Installationen einzigartig – jamais vu (frz.: noch nie gesehen). Beim vergleichenden Betrachten der Werke stellen sich dann jedoch vielfache Bezüge zwischen den Objekten ein. Sie alle untersuchen das Zusammenwirken von Farbe, Form und Fläche sowie Licht und Raum, werfen gesellschaftskritische Fragen auf und nehmen zwischenmenschliche Formen von Wahrnehmung und Erkennen in den Blick. Oder sie wenden sich dem Ornament an der Schnittstelle von Abstraktion und Gegenständlichkeit zu. So entsteht ein lebendiges verschlungenes Geflecht aus einzelnen Erzählsträngen der Sammlungsgeschichte, die den Besucher:innen beim Rundgang durch die Sammlung bereits begegnet sind – déjà vu (frz.: schon gesehen).

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Jamais vu – déjà vu

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