Die Geschichte der plastischen Sammlung II

Josef Zeitler, Kriegsplastik, ohne Jahr, Kunstmuseum Stuttgart

Zwei Stuttgarter Bildhauer im Nationalsozialismus: Josef Zeitler und Fritz Nuss

Die Bildhauer Fritz Nuss und Josef Zeitler gehören zu den bekannten Bildhauern Stuttgarts im 20. Jahrhundert. Beide Künstler wurden sehr alt und hinterließen im öffentlichen Raum der Stadt Stuttgart und in Baden-Württemberg zahlreiche, zum Teil populäre Werke, die ihnen regionale Bedeutung verleihen. Dazu gehören Zeitlers »Hans-im-Glück-Brunnen« (1909) am Geißplatz in Stuttgart, vier Reliefplatten von Nuss, die er für die 1956 eingeweihte Liederhalle Stuttgart anfertigt, seine Skulptur »Sitzender lesend« (1965) vor der Stuttgarter Stadtbibliothek auf dem Mailänder Platz und insbesondere seine Plastik »Der erste Schritt« (1941) im Standesamt. 

Beide Künstler lehrten an Kunsthochschulen: Zeitler 14 Jahre an der Staatlichen Höheren Bauschule in Stuttgart (1923–1937), Nuss an der Fachhochschule in Schwäbisch Gmünd (1952–1972). Zeitler engagierte sich überdies kunstpolitisch, war 30 Jahre im Vorstand des Stuttgarter Künstlerbunds und 20 Jahre Vorstandsmitglied im Württembergischen Kunstverein.

Nicht bekannt ist, dass beide Mitglieder der NSDAP waren und mit dem Regime zusammenarbeiteten. Beide stellen 1937 auf der ersten »Großen Deutschen Kunstausstellung« im Haus der Deutschen Kunst in München aus. Nuss ist fortan regelmäßig dort vertreten. 1941 organisiert der Stuttgarter Künstlerbund eine Jubiläumsausstellung seiner Mitglieder Josef Zeitler, Julius Kurz (1872–1946) und August Köhler (1881–1964). Zeitler wird 1941 erster Vorsitzender des Künstlerbunds. 

Im Rahmen der Provenienzforschung im Kunstmuseum Stuttgart und der Erforschung seiner Institutionen- und Sammlungsgeschichte geraten immer wieder die Biografien von Stuttgarter Künstler:innen in den Fokus, wenn die Herkunft ihrer Werke verbunden ist mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Das trifft zum Beispiel auf Nuss' »Der erste Schritt« im Standesamt Mitte zu. Hierbei handelt sich um eine Plastik aus dem Dritten Reich, die heute im öffentlichen Raum steht. 

Zeitler stellte sich in seinem Entnazifizierungsverfahren 1946 als »Gegner« des Regimes dar, gar als »Widerständler«, obwohl die Stadt 1941 ein berühmtes Werk von ihm ankaufte: die Skulptur »Der wackere Schwabe mit Pferd«. Er selbst schenkte der Stadt im gleichen Jahr anlässlich seines 70. Geburtstags aus Dankbarkeit seine Steinplastik »Schwäbisches BDM-Mädel« in der Hoffnung, dass sie im öffentlichen Raum aufgestellt wird. Beide Werke wurden im Krieg zerstört.

In diesem digitalen Ausstellungsraum werden die Biografie und das Werk beider Künstler im Dritten Reich vorgestellt.

Raumansicht

Das NSDAP-Mitglied Josef Zeitler

Der Bildhauer Josef Zeitler ist heute noch in Erinnerung durch seine Architekturbildhauerei in Stuttgart und Württemberg. Sein Bauschmuck findet sich an öffentlichen Gebäuden, Privatbauten, Kirchen, Brunnen, Kriegerdenkmälern und Grabmälern. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt war die Kleinplastik. Zu seinen heute noch bekannten Werken gehören zum Beispiel der »Hans-im-Glück-Brunnen« in Stuttgarts Altstadt, der »Brunnen mit Puttenreigen« in der Schule in der Heusteigstraße und die Bronzeskulpturen »Die Trauernden« auf dem Waldfriedhof.

Was nicht bekannt ist, ist Zeitlers NSDAP-Mitgliedschaft und sein bejahendes Verhältnis zum NS-Regime. Er tritt am 1. April 1933 in die Partei ein (Mitgliedsnummer 1732741). Als Professor der Staatlichen Bauschule lehrt er bis zu seiner Pensionierung 1938, er ist also noch fünf Jahre Lehrender im Dritten Reich, danach betätigt er sich freiberuflich, bis ein Augenleiden ihn in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt. Auf der ersten »Großen Deutschen Kunstausstellung« 1937 ist er mit seiner Bronzeplastik »Orpheus«  (1927) vertreten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg behauptete Zeitler in seinem Entnazifizierungsverfahren, Regimegegner gewesen zu sein und in mehrfacher Weise Opfer des Dritten Reiches, weil er zweimal ausgebombt wurde und antike Möbel und Kunstgegenstände verlor. Schließlich wurde auch noch seine wertvolle Kunstsammlung vernichtet, die ausgelagert worden war. Dennoch hatte Zeitler ein sehr gutes Verhältnis zum Regime. 1941 ehrt ihn der Stuttgarter Künstlerbund zusammen mit zwei anderen Künstlern, ebenfalls Parteimitglieder, mit einer Jubiläumsausstellung. Im gleichen Jahr wird er erster Vorsitzender des Künstlerbunds. Die Stadt kauft 1941 sein Schnitzwerk »Der wackere Schwabe« (Kriegsverlust) und die Bronzefigur »Hirschkuh mit Jungem«. Auch die 1937 entstandene Holzplastik »Stuttgarter Hutzelmännchen« muss in dieser Zeit von der Stadt erworben worden sein. Zeitler revanchiert sich mit der Bildhauerarbeit »Schwäbisches BDM-Bauernmädel«, die er der Stadt schenkt. Er hofft, dass sie im öffentlichen Raum aufgestellt wird. In den Jahren des Zweiten Weltkriegs führt Zeitler mit Stuttgart auch Verhandlungen über das Brunnenprojekt »Die schöne Lau und Stuttgarter Hutzelmännchen«Nach den schweren Luftangriffen auf Stuttgart 1944 wird das Projekt nicht weiterverfolgt und nach dem Krieg auch nicht wieder aufgenommen.

Anlässlich Zeitlers 70. Geburtstags bringt die Presse, zum Beispiel die Tageszeitung »NS-Kurier« und die Zeitschrift »Stuttgarter Leben«, lange, teilweise bebilderte Artikel über ihn. Darin wird auch sein damals jüngstes Werk besprochen, das von künstlerischem Opportunismus gekennzeichnet ist. In einem Zeitungsartikel heißt es dazu: »Das jüngste Werk des Künstlers ist eine vor kurzem vollendete Nacktfigur Begeisterung, deren edle Haltung dem Symbol der die heilige Flamme vaterländischen Selbstbewusstseins hütenden Weiblichkeit entspricht. Diesem modernen Werk steht (ebenfalls aus neuerer Zeit) eine barock aufschwingende Falknerin gegenüber […]. Eingehender Würdigung wären ferner die allegorischen Darstellungen, von denen KampfWiedergeburt der Nation und Sieg genannt seien […].«

Der »Mitläufer«

Die Spruchkammer in Stuttgart stuft Zeitler als »Mitläufer« ein und verurteilt ihn zum Tragen der Verfahrenskosten, die im Rahmen eines Härteausgleichs schließlich noch vermindert werden. Der Antrag Zeitlers auf Erlassung der Kosten wird abgelehnt. Er legt Berufung ein, zieht sie aber vielleicht wegen zu geringer Erfolgsaussichten zurück. 

Zeitler zeigt weder Einsicht noch Schuldbewusstsein, sondern flüchtet sich in Rechtfertigungen und Entlastungsgeschichten, die seinen »Widerstand« belegen sollen und typisch sind für die Art und Weise, wie sich ehemalige NSDAP-Mitglieder in den Spruchkammerverfahren zu entlasten versuchten. 

So steht in der Begründung seines Verfahrens: »Nach Auskunft der Staatsbauschule Stuttgart […] ist der Betroffene politisch in keiner Weise hervorgetreten; aus seinen Äußerungen sei klar hervorgegangen, dass er den nationalsozialistischen Ideen fremd gegenüber gestanden habe. In Bl. 5 gibt der Betroffene an, dass er 1933 in die Partei eingetreten sei, da er sonst mit dem KZ habe rechnen müssen, er habe sich als Vorstandsmitglied des Künstlerbundes Stuttgart dagegen verwahrt, dass ein Bild Hitlers im Vereinslokal aufgehängt wurde, worauf der Künstlerbund aufgelöst worden sei, er habe seinen Schülern in der Staatlichen Bauschule verboten, überall Hakenkreuze anzubringen[,] und habe jegliche politische Auseinandersetzung während des Unterrichts verboten. Auch sei er von der politischen Polizei zweimal verhaftet worden, da er den Hitlergruß in öffentlichen Lokalen nicht angewendet habe. […] Einen künstlerischen Auftrag habe er von der Partei nie erhalten, dagegen sei er in den letzten Jahren in der Ausstellung der Deutschen Kunst in München nicht mehr zugelassen worden. […] wird ihm von einer ganzen Anzahl Personen bescheinigt, dass man sich mit ihm jederzeit ohne Bedenken über die Unzulänglichkeit der Partei aussprechen konnte und dass er eher ein scharfer Gegner der Partei war.«

Propaganda im Ersten Weltkrieg

Josef Zeitler kommt als Sohn eines Kunstschreiners in Fürth zur Welt. Aus bescheidenen Verhältnissen arbeitet er sich hoch und wird als Kunstprofessor Mitglied der Oberschicht. Mit seiner Kunst wird er erfolgreich und gelangt zu gesellschaftlichem Ansehen. Diese Laufbahn wird ihm nicht in die Wiege gelegt. Nach der Lehre als Steinmetz, Schreiner, Drechsler und Bildhauer stellt er zuerst für Münchner Architekten Bauschmuck her. Es folgen Wanderjahre in verschiedenen europäischen Ländern. Dann beteiligt er sich an Bauprojekten wie zum Beispiel am Reichstag und der Staatsbibliothek in Berlin, dem Berliner Stadtschloss und dem Hamburger Rathaus. Für das neue Stuttgarter Rathaus schafft er Reliefs, auch für das Kunstgebäude, dem Ausstellungshaus des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart.

Karriere macht Zeitler im Deutschen Kaiserreich. Er steht hinter der Monarchie und befürwortet den Ersten Weltkrieg. Für seine bejahende Haltung zum Krieg steht seine Holzskulptur »Der wackere Schwabe mit Pferd« (1914), die er in München, Düsseldorf und Berlin erfolgreich ausstellt und die zum Auftrag für die patriotische Monumentalskulptur »Der wackere Schwabe in Eisen« (1915) führt, ein Nagelungsobjekt aus Lindenholz, mit dem Zeitler seinen Beitrag zur Unterstützung des Krieges leistet. Gegen eine Spende können die Stuttgarter:innen einen Nagel in die hölzerne Skulptur schlagen. Das Geld kommt den Hinterbliebenen von Kriegsopfern und Kriegsverwundeten zugute.

Propaganda im Zweiten Weltkrieg

Josef Zeitlers symbolische Tiergruppe »In Polen brummt ein wilder Bär« (ohne Jahr) stellt die drei Nationen Polen (Bär mit eckigen Konfederatka), England (Bulldogge mit Pagenkäppi) und Frankreich (Hahn mit phrygischer Mütze) dar. Alle drei Tiere streben zum Honig. Der Bienenkorb steht für die von Deutschland nach dem Überfall vom 1. September 1939 besetzten polnischen Gebiete, die wieder deutsch geworden waren, nachdem Deutschland sie wegen des Friedensvertrags von Versailles 1919 an Polen hatte abtreten müssen. An der Seite des Hundes schlängelt sich eine Schlange, die vielleicht List, Heimtücke und das Böse der drei Nationen ganz allgemein symbolisiert. Die rechte hintere Pfote des Hundes ist ein Huf wie beim Fuß des Teufels. Auf dem Sockel steht die erste Strophe des Volkslieds »In Polen brummt ein wilder Bär […]«, das der Theologe und Pädagoge Gustav Friedrich Dinter aus Grimma 1816 für seinen Sohn dichtete. Im Bienenkorb prangt ein Hakenkreuz.

Die Plastik wird 1939 modelliert, das Entstehungsjahr ist in den Sack geritzt, auf den der Hahn seinen linken Fuß gestellt hat. Auch die Bulldogge trägt einen Sack, auf dem Zahlen, vielleicht eine Reihe von Nullen, zu sehen sind.

Einen politischen Bezug zu Polen, das es 1816 als autonomen Staat nicht gab, hatte das Gedicht zum Zeitpunkt seiner Entstehung nicht. Daher lässt sich der Bär in der Tiergruppe auch nicht unmittelbar mit einem russischen oder polnischen Bären identifizieren, der Bär im Gedicht ist auf der symbolischen Ebene keiner bestimmten Nation zugeordnet. Dass der Bär in der Plastik Polen darstellt, wird erst im zeithistorischen Kontext und in Verbindung mit der Verszeile »In Polen brummt ein wilder Bär« deutlich. Zeitler nutzt das im Gedicht anklingende Motiv, um seinen »humoristischen Anschlag« auf die Feinde des Deutschen Reiches zu verüben.

Polen wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder ein souveräner Staat, und der Kriegsverlierer Deutschland musste Gebiete an das Land abtreten. Daher waren die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten in der Zwischenkriegszeit 1919 bis 1939 kompliziert und schwierig, zeitweise offen feindselig. Polen versuchte sich durch Bündnisse mit Russland, Frankreich und Großbritannien zu schützen. Doch im August 1939 unterzeichneten Deutschland und die Sowjetunion das Ribbentrop-Molotow-Abkommen mit einem geheimen Zusatzprotokoll, in dem Polen zwischen den beiden Mächten aufgeteilt wurde. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 war das Schicksal Polens besiegelt, es wurde von beiden Staaten besetzt und die Deutschen bauten ein äußerst repressives Regime auf, das für viele Menschen, insbesondere die jüdische Bevölkerung, tödlich endete.

Zeitlers dreidimensionale Karikatur trägt abwertende und triumphale Züge, indem sie sich über die drei dargestellten Nationen lustig macht, mit propagandistischer Absicht die »Nationalcharakter« auf stereotype Eigenschaften reduziert und ausdrückt, dass Deutschland die zurückgewonnenen Gebiete nicht wieder hergibt. Zeitler ging es nicht um die Darstellung der Wirklichkeit im besetzten Polen, sondern um die Begehrlichkeit, die das Land bei den Feinden Deutschlands weckte. Auch sie wollen ran an »den Honig«, doch sie werden wie der Bär im Volkslied erfolglos bleiben, weil die Bienen sie mit ihren Stacheln in die Flucht schlagen. 

Die von Zeitler imaginierte Konstellation der drei angreifenden Nationen hat es historisch so nie gegeben, erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs kam es zu einem Bündnis zwischen Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion gegen das Deutsche Reich. In diesem Kontext scheint Zeitler daher eher Deutschlands Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg wieder auferstehen und als Widersacher von Deutschlands »legitimen« Ansprüchen an polnischen Gebieten auftreten zu lassen.

Die Kunstsammlung Zeitler, das geplante »Zeitler-Museum« und der Verdacht auf ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk

Josef Zeitler besaß eine Kunstsammlung, die zum großen Teil im Krieg zerstört wurde. Er hielt sie für »eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen Württembergs« und für »unersetzlich«. Den Wert veranschlagte er auf 800 000 Reichsmark. Angeblich hatte ihm ein US-amerikanisches Museum für Einzelstücke wie Holzskulpturen von Tilman Riemenschneider und Veit Stoß 1 Million Reichsmark geboten, aber Zeitler hätte sie ohnehin nicht verkaufen können, weil die Plastiken unter dem nationalen Denkmalschutz standen und nicht ausgeführt werden durften.

Stuttgarts Oberbürgermeister Karl Strölin war um die Sicherheit dieser Sammlung sehr besorgt und entschied zusammen mit Zeitler, dass sie an einem sicheren Ort eingelagert werden sollte. Der größte Teil kam ins Schloss Löwenstein, wo er durch einen Brand vernichtet wurde. Das große Interesse der Stadt an einer sicheren Aufbewahrung war nicht unbegründet, denn nach Zeitlers Aussage wollte die Stadt seine Sammlungen erwerben, um ein »Zeitler-Museum« zu errichten. Hätte Zeitler in Opposition zum Regime gestanden, wäre wohl kaum ein solcher Plan geschmiedet worden.

Darüber hinaus scheint Zeitler aber auch noch in anderer Weise Profiteur der Verhältnisse im Dritten Reich gewesen zu sein. In der Städtischen Galerie Albstadt befindet sich heute das Gemälde »Stehender weiblicher Akt im Atelier II« (1910) von Christian Landenberger (1862–1927). Dieses Gemälde hing ursprünglich im Schlafzimmer der Villa des jüdischen Textilfabrikanten und Ehrenbürgers von Stuttgart-Zuffenhausen Moriz Horkheimer. Horkheimer besaß eine große Kunstsammlung, die vor allem Gemälde des Schwäbischen Impressionismus umfasste. Wegen der Judenverfolgung wurden Horkheimer und seine Frau Babette sukzessiv durch die Nationalsozialisten ihres gesamten Hab und Guts beraubt, darunter ihre Kunstsammlung. Es besteht der Verdacht, dass Horkheimer auch den »Stehenden weiblichen Akt im Atelier II« unter Zwang und unter Wert im Stuttgarter Kunsthandel verkaufen musste und dieser dann günstig von Zeitler erworben wurde. Später erwarb der Sammler Walther Groz aus Ebingen das Werk, der es dann 1970 der Galerie Albstadt stiftete.