Die Geschichte der plastischen Sammlung I

Sportlerin, Daniel Stocker, ohne Jahr

Die Entstehung

Über die Entstehungsgeschichte der Skulpturensammlung der Städtischen Galerie Stuttgart – heute das Kunstmuseum Stuttgart – ist wenig bekannt. Einige Skulpturen werden in der Weimarer Republik angekauft, doch wie bei den Gemälden und Grafiken scheinen Plastiken erst im Nationalsozialismus systematisch gesammelt worden zu sein. Einige Beispiele legen davon Zeugnis ab. Für die meisten dieser Werke ist bezeichnend, dass über ihre Herkunft wenig bis nichts bekannt ist.

Ein Teil der für die Städtische Galerie im Dritten Reich erworbenen Plastiken wird im Zweiten Weltkrieg zerstört, zu Kriegszwecken eingeschmolzen oder ihr Verbleib ist unbekannt. Bei dem erhaltenen Teil steht in der Regel bei der Angabe der Herkunft nur ein Fragezeichen im Inventar. Aus der Sammlungs- und Institutionengeschichte des Kunstmuseum Stuttgart geht hervor, dass die Plastiken überwiegend in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden sind und von der Stadt erworben wurden. 

In der Sammlung des Kunstmuseums Stuttgart betrifft dies Werke der Künstler Hermann Wilhelm Brellochs (1899–1979), Karl Calwer (1896–1950), Emil Hipp (1893–1965), Oswald Hofmann (1890–?), Richard Knecht (1887–1966), Ludwig Habich (1872–1949), Fritz Nuss (1907–1999), Rudolf Rempel (1892–1970), Vinzenz Schapfl (1892–1976), Erwin Scheerer (1905–1984), Daniel Stocker (1865–1957), Fritz Theilmann (1902–1991) und Josef Zeitler (1871–1958), hinzu kommen Arbeiten von Ernst Barlach (1870–1938), Arthur Storch (1870–1947) und Joseph Wackerle (1880–1959).

Dieser und zwei weitere digitale Ausstellungsräume ergründen zum einen die Geschichte des erhaltenen Skulpturenbestands aus der Zeit des Nationalsozialismus und behandeln einige ausgewählte Werke. Zum anderen stellen sie exemplarisch die Künstler Josef Zeitler (Die Geschichte der plastischen Sammlung II) und Fritz Nuss (Die Geschichte der plastischen Sammlung III) vor. 

Raumansicht

Die ersten Erwerbungen

Bis zur Eröffnung ihrer Kunstgalerie im Jahr 1925 besitzt die Stadt Stuttgart keine eigene Kunstsammlung. Der Grundstock wird erst durch eine Gemäldesammlung gelegt, die der italienische Graf Silvio della Valle di Casanova der Stadt ein Jahr zuvor schenkt. Diese Sammlung, die vor allem Bilder des schwäbischen Impressionismus umfasste, wurde in der Villa Berg ausgestellt, einem ehemaligen Fürstenpalais im Besitz des württembergischen Königshauses, das die Stadt erworben und für den neuen Zweck hergerichtet hatte. Die Kunstsammlung befand sich im oberen Stockwerk. Zwar gab es ein paar Bauplastiken am und im Gebäude, doch in dem ersten 1925 erschienenen Führer durch die Sammlung wird nur eine Plastik genannt: die Marmorskulptur »Nach dem Bade« von Max Bezner (1883–1953). 

Die Stadt hat möglicherweise aber schon früher Plastiken erworben, denn in einer Inventarliste des in der Villa Berg präsentierten städtischen Kunstbesitzes von 1941 werden einige Werke genannt, die vor der Zeit der Weimarer Republik entstanden sind. Es handelt sich um Arbeiten von Hermann Bach (1842–1914/19), Donato Barcaglia (1849–1930), Joseph Kopf (1827–1903), Paul Müller (1843–1906) und Adolf Fremd (1853–1924). Hinzu kommen weitere Werke, die vielleicht nach 1919 oder im Dritten Reich erworben wurden. Sie stammten von Karl Donndorf (1870–1941), Ulfert Janssen (1878–1956), Gustav Adolf Hedblom (1898–1972), Emil Kiemlen (1869–1956), Fritz Zimmer (1895–1975) und Gottlieb Schäfer (1910-1941). Die meisten dieser Bildhauer hatten auf die eine oder andere Weise einen Bezug zur Stadt Stuttgart. 

Insbesondere eine Marmorskulptur zeigt deutlich, dass die 1924 geschaffene Städtische Kunstsammlung durchaus auch durch Plastiken bereichert wurde. Es handelt sich um das Werk »Liebe macht blind« von Donato Barcaglia. Die Stadt bekommt die Skulptur zur Eröffnung der Städtischen Galerie in der Villa Berg von einem ihrer Gemeinderatsmitglieder geschenkt.

Die Inventarliste der vor dem Nationalsozialismus erworbenen Plastiken lässt keine klare Sammlungsstruktur und -strategie erkennen. Sie waren – bis auf wenige Ausnahmen wie im Fall des Werks »Liebe macht blind« – wohl nie als Objekte für einen musealen Skulpturenbestand gedacht und dienten in erster Linie als Kunst im öffentlichen Raum. Dies gilt besonders für die vielen Büsten, mit denen an geschichtsträchtige Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Ferdinand Graf von Zeppelin oder den Marchese di Casanova erinnert wurde.

Gefragte Bildhauer im Nationalsozialismus

Die wohl wichtigste Ausstellung im Dritten Reich war die »Große Deutsche Kunstausstellung« in dem zu diesem Zweck errichteten Haus der Deutschen Kunst in München. 1937 findet mit seiner Eröffnung auch die erste sogenannte Leistungsschau der Kunst statt. Viele der in der Stuttgarter Sammlung vertretenen Bildhauer stellen im Zeitraum von 1937 bis 1944 einmal oder mehrmals aus. Die Stadt Stuttgart erwirbt dort auch Plastiken. Ein Beispiel ist Rudolf Rempels »Bäumendes Pferd«, das 1941 gezeigt und vielleicht dort von Stuttgart angekauft wird. 

Sechs Künstler aus dem Sammlungsbestand – Brellochs, Hofmann, Nuss, Rempel, Scheerer und Zeitler – waren Mitglied in der NSDAP. Einige Bildhauer wie Emil Hipp, Richard Knecht und Daniel Stocker waren bei den Nationalsozialisten sehr angesehen. Es gab auch Grenzfälle wie Erwin Scheerer. Seine zwischen 1932 und 1933 entstandene und von der Witwe Margarete Scheerer der Galerie der Stadt Stuttgart 1986 geschenkte Steinskulptur »Schwangere Frau« entsprach nicht dem NS-Idealbild der »deutschen Frau und Mutter«. Zudem wurden seine frühen Grafiken wegen des expressionistischen Stils als »entartet« verfemt. Scheerer passte sich jedoch an die neuen Verhältnisse an: Er trat der Partei bei und änderte erfolgreich seinen Stil, was ihm die Teilnahme an den »Großen Deutschen Kunstausstellungen« 1937, 1939 und 1943 ermöglichte.

Die »Gottbegnadeten-Liste« und die »Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft«

Über die Entstehungsgeschichte der Bosch-Büste von Richard Knecht ist nichts bekannt, weder zum Anlass noch zur Frage, ob sie aufgestellt wurde, liegen Angaben vor. Der für Deutschlands Industrialisierung bedeutende Unternehmer wurde oft porträtiert. Die Büste war nicht Knechts einziges Werk im Stuttgarter Skulpturenbestand, denn 1940 erwirbt die Stadt zudem seine Bronzebüste »Professor Schwalbach«.

Knecht galt als ein Meister der realistischen Porträtplastik. Der in Tübingen geborene Bildhauer ist damals sehr erfolgreich. Er studiert von 1906 bis 1914 Bildhauerei an der Kunstakademie München und kann seinen ersten Erfolg bereits 1913 auf der »Großen Kunstausstellung Stuttgart« verzeichnen. 1929 wird er zum Professor ernannt, 1934 zum Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste München. Drei Jahre später wird er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste Berlin. 

1933 und 1937 bis 1939 beauftragt ihn die NSDAP-Gauleitung München mit der Gestaltung der Festumzüge am »Tag der Deutschen Kunst«. Im Zweiten Weltkrieg wird er ordentlicher Professor für Bildhauerei in München und wird 1944 in die »Gottbegnadeten-Liste« aufgenommen, die alle Künstler:innen erfasste, die das NS-Regime für bedeutsam und beschützenswert hielt. Das antisemische Hetzblatt »Völkischer Beobachter« hält ihn 1937 für den bedeutendsten Münchner Bildhauer. 

Auch Josef Wackerle, geboren in Bayern, ist einer der »Gottbegnadeten«. Seine Karriere beginnt mit einer Ausbildung zum Holzschnitzer und einem anschließenden Studium an der Kunstgewerbeschule und der Akademie in München. Bereits im Alter von 26 Jahren steigt er zum künstlerischen Leiter der Porzellanmanufaktur Nymphenburg in München auf. Verschiedene Lehrtätigkeiten und Auszeichnungen folgen. Die Nationalsozialisten schätzen Wackerles Arbeiten sehr. Reichspropagandaminister Goebbels schlägt ihn 1937 für den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft vor. 1940 erhält er auf Vorschlag Adolf Hitlers zu seinem 60. Geburtstag die »Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft«. Seine 37 cm hohe Porzellanplastik »Mohr mit Pferd« kauft die Stadt Stuttgart 1933. Sie wird im Krieg zerstört oder ging verloren. Wie sie ausgesehen hat, ist unbekannt.

Vinzenz Schapfl: Fliegerass und Männeridol

Nur wenig ist über den Bildhauer Vinzenz Schapfl bekannt. Er kommt 1892 in Schönberg bei Innsbruck in Tirol zur Welt. In Stuttgart gibt es von ihm ein paar Werke. Eine Pietà steht in der Gefallenenkapelle der 1927/1928 errichteten Christkönigskirche in Vaihingen. Im Stadtpark Vaihingen wird zudem 1935 sein Mutter-Kind-Brunnen aufgestellt. Die Plastik einer stehenden Mutter mit Kind wird im Krieg eingeschmolzen. Darüber hinaus befindet sich im Kunstmuseum Stuttgart eine Büste, die den Bildhauer und Akademieprofessor Alfred Lörcher (1875–1962) porträtiert.

Bemerkenswert ist Schapfls Bronzekopf des im bayrischen Neu-Ulm geborenen Flugpioniers Hermann Köhl, die sich heute ebenfalls im Kunstmuseum Stuttgart befindet. Der ehemalige Kampfpilot beteiligte sich maßgeblich am Aufbau des Nachtflugverkehrs in Deutschland in den Zwanzigerjahren und war der erste Nachtflugleiter der 1926 gegründeten Deutschen Luft Hansa AG. Berühmt wird er durch die erste Atlantiküberquerung in Ost-West-Richtung 1928. Dafür verliehen ihm die USA die höchste amerikanische Pilotenauszeichnung sowie die Ehrenbürgerschaft von Chicago und St. Louis. 

Von Natur aus hatte Köhl eine kräftige Statur. Das Porträt mit der geglätteten Form betont den kantigen Schädel mit der hohen Stirn und den wachen Augen. Wegen seiner militärischen Vergangenheit als Weltkriegssoldat und seiner Leistungen als Flugpionier verkörperte Köhl die (preußischen) Tugenden. Als Idol war er Vorbild und Identifikationsfigur. 

Die Herkunft beider Porträts ist unbekannt, höchstwahrscheinlich wurden sie im Dritten Reich gekauft.

Ein Ausreißer in der Ankaufspolitik

1935 erwirbt der NS-Kunstreferent Dr. Fritz Cuhorst von der Stuttgarter Kauffrau Käthe Wanner den Bronzeabguss »Schlafendes Bauernpaar« (1912) von Ernst Barlach. Das ist ein ungewöhnlicher Ankauf, denn dieses Werk war in der Städtischen Galerie Wuppertal-Elberfeld als »entartet« beschlagnahmt worden. 

Käthe Wanner war die Plastik von der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meißen zum kommissionsweisen Verkauf überlassen worden. Barlach hatte im thüringischen Porzellanbetrieb zwei Arbeiten geschaffen, darunter Ende 1922 das »Schlafende Bauernpaar« in weißem Porzellan und im Frühjahr 1923 in Böttgersteinzeug. Das Original war eine Holzskulptur. Barlachs bekannter Name und seine beiden Arbeiten waren eine gute Werbung für die Porzellan-Manufaktur. 

Barlach, einer der berühmtesten deutschen Bildhauer seiner Zeit und im Dritten Reich als Wegbereiter der modernen Kunst verfemt, wird zunächst von einigen führenden Nationalsozialisten geschätzt. Propagandaminister Joseph Goebbels bewundert ihn und hält ihn für einen Vertreter der neuen deutschen Kunst. Die anfangs den »nordischen Expressionismus« protegierenden Nationalsozialisten sehen in Barlachs Werk ihre Weltanschauung von »Blut und Boden« verwirklicht. Als »Arier« sei er fest verwurzelt in der »Heimaterde«. Bereits in den Zwanzigerjahren sehen einige Bewunder:innen in Barlach einen »deutschen« und »nordischen« Künstler. Trotzdem wächst ab 1932 die Kritik von nationalsozialistischer Seite an ihm. 

Cuhorsts Ankauf des »Schlafenden Bauernpaars« erklärt sich möglicherweise aus der Rezeption Barlachs als »nordischer Künstler«. Bedeutsam dürfte auch das Bauernmotiv gewesen sein. Wo die Bronze stand und was aus ihr wurde, ist unbekannt. Es ist gut möglich, dass sie im Krieg eingeschmolzen wurde. Bis 2019 war nicht einmal bekannt, dass die Nationalsozialisten einen »Barlach« für die Städtische Galerie Stuttgart erstanden.

Die NS-Bildhauerin Waldschmidt porträtiert den Widerstandskämpfer Bolz

Olga Waldschmidt (1898–1972) geb. Schwarz war Bilderhauerin, Malerin und Mosaizistin. Sie war die Tochter des Stuttgarter Bankiers und Kunstsammlers Karl Ludwig Schwarz. Malerei und Bildhauerei studiert sie an der Stuttgarter Kunstakademie, unter anderem bei ihrem späteren Ehemann, Professor Arnold Waldschmidt (1873–1958). Dieser leitete seit 1927 die Stuttgarter Kunstakademie und hatte eine bewegte politische Vergangenheit. Von April bis Mai 1920 ist er mit Mitgliedern des Schutz- und Trutzbundes an der Gründung der NSDAP in Stuttgart beteiligt. Anfang Juni 1920 tritt er der nationalsozialistischen Bewegung bei und ist 1922/23 erster Vorsitzender der Ortsgruppe Württemberg. Mit Adolf Hitler ist Waldschmidt gut bekannt und hilft bei der Neuorganisation der NSDAP in Württemberg 1925. Er wird »Stellvertreter des Führers für Württemberg« und Träger des SS-Totenkopfrings. Anfang 1936 hat er den Rang eines Scharführers des Sturmes, 1940 wird er ehrenhalber in den Rang eines SS-Standarten- und schließlich SS-Obergruppenführers erhoben. Im Frühjahr 1945 steht er kurzzeitig einem Außenlager des Konzentrationslagers Ravensbrück in Sassnitz als Kommandant vor. Am Kriegsende flieht er mit Olga nach Sassnitz auf Rügen, wo ihn die Russen festnehmen und in die Sowjetunion verbringen. Dort wird er zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt und kehrt im Oktober 1953 zurück. Erst im Januar 1953 war Olga Waldschmidts Entnazifizierungsverfahren eingestellt worden, was zeigt, dass dem Ausschuss die Bewertung ihrer NS-Vergangenheit schwerfiel. Arnold Waldschmidt bezog hingegen von Anbeginn eine eindeutige Haltung: »1933 übernahm ich nach einer Besprechung mit dem Führer die Landesleitung des neugegründeten Reichskartells der bildenden Künste und wurde in der hieraus entstandenen Reichskammer der bildenden Künste zum reichsamtlichen Landesleiter für Württemberg ernannt.«

Als Olga Schwarz die Ehe mit ihrem Lehrer schließt, ist dieser ein überregional bekannter und als Hochschulprofessor arrivierter Künstler. Er dürfte auf die 23-jährige Olga künstlerischen und geistigen Einfluss ausgeübt haben. Sie ist in denselben Künstlergruppen und Künstlervereinigungen wie er. 1923 hatte Arnold Waldschmidt die Stuttgarter Sezession mitbegründet, in der auch Olga Mitglied war, und 1929 sind beide in der »Gruppe 1929«. Olga Waldschmidt unterstützt den Nationalsozialismus. Sie ist Mitglied der NSDAP und in der NS-Frauenschaft. 1938 begleitet sie ihren Mann in die Reichshauptstadt Berlin, wo sie bis 1945 wohnen. 

Nach dem Nationalsozialismus kann Olga Waldschmidt ihre künstlerische Arbeit erfolgreich weiterführen. Sie erhält weiterhin Aufträge von öffentlicher Hand. Ihre Werke finden auch in der Nachkriegszeit Eingang in die Sammlung der Galerie der Stadt Stuttgart sowie der Staatsgalerie Stuttgart. Ihre 1958 geschaffene Büste des ehemaligen Staatspräsidenten und Innenministers Württembergs Eugen Bolz, der als Widerstandskämpfer 1945 von den Nationalsozialisten hingerichtet wird, steht heute im baden-württembergischen Innenministerium in Stuttgart. Sie ist Zeugnis dafür, wie Karrieren von Künstler:innen mit NS-Bezug in der Nachkriegszeit von öffentlicher Hand unterstützt wurden und welche Widersprüchlichkeiten sich dabei ergeben konnten: Die ehemalige Nationalsozialistin bekam den Auftrag, eine Gedenkbüste für den Widerstandskämpfer Bolz auszuführen.

Die Büsten für zwei Ritterkreuzträger und einen NS-Dichter

Von Olga Waldschmidts Plastiken aus der NS-Zeit haben nicht viele überdauert. Deshalb lässt sich kein vollständiges Bild über ihr plastisches Werk gewinnen. Immerhin sind die drei Büsten bekannt, die sie 1943 und 1944 auf der »Großen Deutschen Kunstausstellung« in München ausstellt. Höchstwahrscheinlich waren es Auftragswerke. 1943 entstehen die Bronzeköpfe von dem »Ritterkreuzträger Oberleutnant Helmut Meckel« und vom »Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub«»Schwertern und Brillanten Major [Gordon Max] Gollob«. Letztere wurde vom Heeres Museum Wien angekauft. Beide Bronzeköpfe zeigen Jagdflieger der deutschen Luftwaffe, denen im Zweiten Weltkrieg das Ritterkreuz verliehen wurde. 1944 entsteht die Büste »Der Dichter Kurt Eggers«. Eggers ist zu Beginn der Weimarer Republik Freikorpskämpfer, der die junge Demokratie gewaltsam bekämpft, anschließend erlangt er Bekanntheit als rechtsextremistischer Schriftsteller und NS-Kulturpolitiker. Die drei Plastiken belegen Olga Waldschmidts Festhalten am Regime bis zu seinem Untergang. 

Nach dem Krieg beauftragt der württembergische Ministerpräsident Gebhard Müller Olga Waldschmidt mit der Anfertigung der Bolz-Büste, die heute im baden-württembergischen Innenministerium steht. Müller gehört im Dritten Reich dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen an und ist Förderndes Mitglied der SS, aber kein Mitglied der NSDAP. Als Richter und Staatsbeamter stützt er einerseits das Regime, ist andererseits aber durchaus auch zu unangepassten, kritischen Entscheidungen fähig, die sich für ihn nachteilig auswirken. Er wird Olga Waldschmidt nach seiner Strafversetzung als Landgerichtsrat an das Landgericht Stuttgart kennengelernt haben. Sie für die Büste auszuwählen, war naheliegend, weil sie als Spezialistin für Bronzefiguren und Kopfbüsten galt.

Neben Waldschmidts Büste zum Gedenken an Eugen Bolz entsteht in der Nachkriegszeit ein weiterer Porträtkopf von ihm, den Fritz von Graevenitz (1892–1959) anfertigt. Er erhält schon 1951 den Auftrag. Seine Bolz-Büste steht aktuell im Landtag von Baden-Württemberg, ein Abguss davon ist im Staatsministerium zu finden, dessen 2016 errichteter Erweiterungsbau Eugen-Bolz-Haus heißt. So stehen heute drei Bronzeköpfe zur Erinnerung an Eugen Bolz in Gebäuden der öffentlichen Hand, die von einer Kollaborateurin und einem Kollaborateur des NS-Regimes geschaffen wurden.

»Germanisches Symbol der Unsterblichkeit« – Die erfolgreiche künstlerische Anpassung des Bildhauers Daniel Stocker im hohen Alter

Daniel Stocker (1865–1957), gebürtiger Stuttgarter, war im Kaiserreich ein erfolgreicher Bildhauer. Zu seinen bekanntesten Werken in Stuttgart zählen die »Friedrich-List-Büste« (1905), der »Weißenburgbrunnen« mit der Skulptur »Das sinnende Mädchen« (1908) und der »Bocksprungbrunnen« (1912). Im Jahr 1915 wurde er zum Professor ernannt. Zu Beginn des Nationalsozialismus war er bereits 68 Jahre alt. Künstlerisch hielt Stocker zeitlebens an einer figürlichen und traditionellen Bild- und Formensprache fest, die der Kunst der Antike verpflichtet war und moderne Ausdrucksformen ablehnte. Der neoklassizistische Realismus seiner Arbeiten bescherte ihm im Dritten Reich neuerlichen Erfolg. Auf der »Großen Deutschen Kunstausstellung« im Haus der Deutschen Kunst in München war er 1938, 1939, 1941 und 1942 mit insgesamt fünf Werken vertreten. Adolf Hitler kaufte dort 1938 »Neues Leben« und 1939 »Deutsche Frau«. 

Stuttgart erwarb 1942 die Bronze »Sportlerin«. 1985 kam das »Bauernmädchen« durch eine Schenkung hinzu. Sie war in Stockers künstlerischem Nachlass. Der Akttorso stand für Bauerntum und Mutterschaft. 1985 war der völkische Kontext vergessen und das Bildwerk wurde »Frauenbüste mit Kopftuch« genannt.

Die Figur »Baldur« entstammt der germanischen Mythologie und bezeichnet den Gott der Sonne, der sich durch leuchtende Schönheit, Barmherzigkeit und Weisheit auszeichnet. Die Bewegung einer neuheidnischen und deutschchristlichen Religion sah in ihm eine Art Sinnbild des »germanischen Christentums« vor Christus. Die antisemitische Schrift »Baldur und Bibel. Weltbewegende neue Enthüllungen über Jesus, Bibel und germanische Kultur im biblischen Kanaan« von 1920, das der Lehrer und Verschwörungstheoretiker Karl Weinländer (1870–1946) verfasste, ist ein Beispiel für diese Weltsicht.

1940 schrieben die Nationalsozialisten über ihren »Gesinnungsfreund« Stocker, er habe mit »Erde und Baldur« ein »germanisches Symbol der Unsterblichkeit« geschaffen. Die Steinplastik schmückte den Hof der erweiterten Leichenhalle des Stuttgarter Pragfriedhofs.

»Als Künstler war ich nie politisch interessiert« (Peter Otto Heim, Bildhauer)

Der Bildhauer, Maler und Kunstpädagoge Peter Otto Heim (1896–1966) ist in der Skulpturensammlung des Kunstmuseums Stuttgart unter anderem mit der kleinen Bronzestatuette »Strumpfanziehende« vertreten. Über ihre Herkunft ist nichts bekannt. Höchstwahrscheinlich wurde sie im Dritten Reich erworben, da ihr Entstehungsjahr wohl 1935 ist. Die Stadt könnte die Plastik auf einer Ausstellung gekauft haben. Heim stellt zum Beispiel 1936 auf der »Kunstausstellung des Hilfswerks für die deutsche bildende Kunst in der NS-Volkswohlfahrt« im Kunstgebäude Stuttgart aus. 1943 zeigt er die Bronzeplastik »Fliehendes Mädchen« auf der »Großen Deutschen Kunstausstellung« im Haus der Deutschen Kunst in München. Im gleichen Jahr sind zwei Werke von ihm in der Ausstellung »Junge Kunst im Deutschen Reich« zu sehen, die im Auftrag des Reichsstatthalters und Reichsleiters Baldur von Schirach im Wiener Künstlerhaus stattfand.

Heim stammt gebürtig aus Alberweiler. Nach einer Steinmetzlehre studiert er von 1919 bis 1922 bei dem Bildhauer Alfred Lörcher an der Kunstgewerbeschule Stuttgart. Von 1924 bis 1942 ist er als freier Bildhauer tätig und lehrt ab 1926 als Assistent der Bildhauerklasse in der Kunstgewerbeschule. Im Dritten Reich gehört er kurze Zeit dem SA-Landsturm an, ist in der NS-Wohlfahrt, im NS-Lehrerbund und 1942 Ehrenmitglied im NS-Altherrenbund. 1937 tritt er in die NSDAP ein. In seinem Entnazifizierungsverfahren bezeichnet sich Heim selbst als »starken Gegner« des Nationalsozialismus, der sich »während des nationalsozialistischen Regimes stets im Gegensatz zu seinen Lehren und Auswirkungen« befunden habe. Die Parteimitgliedschaft begründet er damit, als nicht beamtete künstlerische Lehrkraft dazu vom Bildungsministerium verpflichtet worden zu sein. Er sei aber 1921 in der Liga für Menschenrechte gewesen und hätte im Dritten Reich Student:innen geholfen, die aus rassischen oder politischen Gründen verfolgt wurden. Seiner Ernennung zum Professor durch den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1943 steht das nicht im Wege.

Das Motiv der Strumpfanziehenden hat eine längere Tradition in der Malerei und Plastik. Heims Werk wurde in einem Artikel in der Zeitschrift »Die Kunst für Alle« (1936/37) gewürdigt und mit einem Foto abgebildet. Es ist nicht bekannt, wann, wo und in welcher Auflage Heim die Statuette gießen ließ. Vielleicht wurde sie in der Kunstgießerei Franz Burger in Stuttgart-Untertürkheim hergestellt, denn dort wurde während des Krieges seine Plastik »Steigendes Pferd« gegossen, die er im Auftrag der Stadt als Ortszeichen für Stuttgart mit dem glückhaften Schiff als Wappen der »Stadt der Auslandsdeutschen« schuf. 

1935 veröffentlicht Heim über seinen Lehrer, der ebenfalls eine Plastik mit dem Titel »Strumpfanziehende« schuf, das Buch »Der Bildhauer Alfred Lörcher«. Es liegt nahe, dass die beiden Statuetten zur gleichen Zeit entstanden. Dafür spricht die ähnliche Gestaltung des Kopfes und die treppenförmige Basis, die beide Plastiken aufweisen. Zusammen betrachtet wirken beide Figuren wie Variationen des Themas.

Ist Heims »Aufsteigendes Pferd« als »unpolitische« Kunst einzuordnen?

Anfang Juli 1946 schrieb der Verwalter der Städtischen Kunstsammlung Stuttgart, der junge Eugen Keuerleber, an den Oberbürgermeister Arnulf Klett:

»Am 1. Juli besichtigte ich das im Schreiben des Herrn Franz Burger erwähnte Modell des Stadtwappens des Bildhauers Heim. Es handelt sich um das Gipsmodell eines als Rundplastik ausgeführten sich aufbäumenden Pferdes in halber Lebensgröße. Ein Vorderhuf des Pferdes berührt einen stehenden ovalen Schild, auf dem das Relief des ›Glückhaften Schiffes‹ der ›Stadt der Auslandsdeutschen‹ angebracht ist. Wie Herr Burger sagte, war geplant, das Wappenpferd 8 Mal in Bronze auszuführen und es an verschiedenen Ausfallstraßen Stuttgarts aufzustellen. Zwei weitere Ausführungen in doppelter Lebensgröße sollten an der Autobahn Aufstellung finden. Durch die Kriegsumstände kam es dann nur zur Ausführung einer einzigen Plastik. Meine Nachfrage über den Verbleib derselben blieb sowohl beim Hoch- als auch beim Tiefbauamt ergebnislos.« 

Heim hatte einen Wettbewerb um die Gestaltung eines neuen Ortszeichens für Stuttgart gewonnen, den die NS-Stadtverwaltung nach der Verleihung des Ehrentitels »Stadt der Auslandsdeutschen« 1936 ausgelobt hatte. Die Zeitschrift »Die Kunst« berichtete 1942 darüber. Ein Exemplar des neuen Ortszeichens wurde im Süden der Stadt auf einem 3,5 m hohen Natursteinsockel aufgestellt. Weitere sollten an den Haupteinfahrstraßen, den Hauptanschlussstellen zur Reichsautobahn und den Einfahrtslinien der Eisenbahn stehen. Die Gigantomanie wird erkennbar, wenn man sich das Pferd in doppelter Lebensgröße auf dem über 3 Meter hohen Sockel an einer Autobahn vorstellt. Schon von weitem sollten die ankommenden Autofahrer die Grenze der »neuen« Stadt sehen.

Heims Plastik diente nicht nur der Markierung der Stadtgrenze, es sollte im Zusammenspiel mit dem Wappen die Bestimmung des neuen Stuttgarts als »Stadt der Auslandsdeutschen« symbolisieren. Damit hatte es eine politische Dimension, es war ein vom Regime gesetztes Zeichen seiner Herrschaft und einer neuen Ordnung.

Konversion in eine »entpolitisierte« Tierdarstellung

Keuerleber fand auf der Suche nach dem Bronzeguss des »Steigenden Pferds« in der Stuttgarter Kunstgießerei Franz Burger das Gipsmodell. Er hielt die Arbeit für sehr repräsentativ und schlug dem Oberbürgermeister einen weiteren Abguss vor. Keuerleber schrieb:

»Herr Burger wäre nun bereit, für die Stadt einen Guß in Bronze herzustellen. Er nannte einen ungefähren Betrag von 2400 RM als Preis. Der Schild mit dem Relief des ›Glückhaften Schiffes‹ könnte ohne weiteres weggelassen werden, da ohne ihn das Pferd nicht nach vorne kippt. […]

Das Pferd ist in seiner Bewegung sehr genau dem offiziellen Stuttgarter Stadtwappen angeglichen. An entsprechender Stelle dürfte es schon dank seiner Größenausmaße sehr repräsentativ wirken. Ich könnte mir vorstellen, daß es etwa in der Mörikestraße Aufstellung finden könnte und sich dort besser eignen würde als die Pferdegruppe vom Vestibül des Zeppelinhotels. Der Preis von 2400 RM würde nur die Gießerkosten umfassen. Der Künstler wurde schon früher honoriert. Trotz dieser verhältnismäßig geringen Kosten gilt es im Hinblick auf die Zeitumstände zu bedenken, ob das zweifellos sehr repräsentative Stück in den allgemeinen Rahmen einzufügen ist.«

Tatsächlich wurde Heims Arbeit erneut gegossen und steht heute ohne einen Hinweis auf seinen zeithistorischen Kontext und seine Entstehungsgeschichte im Nationalsozialismus im Stuttgarter Höhenpark Killesberg, unterhalb der Thomastraße, nahe des gleichnamigen Eingangs in der Nähe der Grünen Fuge. Die Entstehungsgeschichte ist vollkommen in Vergessenheit geraten, Quellen im Internet nennen als Entstehungsjahr 1955 und geben an, dass es für die Landesausstellung Baden-Württemberg aufgestellt wurde. Durch die Entfernung des NS-Wappens für den neuen Guss »neutralisierte« das Kulturreferat die NS-Plastik und machte aus ihr eine entpolitisierte Tierdarstellung mit Bezug zum offiziellen Stuttgarter Stadtwappen. Dieser, die Vergangenheit verdrängende, Umgang mit dem künstlerischen NS-Erbe war in der Nachkriegszeit in der jungen Bundesrepublik Deutschland weit verbreitet und dauert, wie Heims Plastik dokumentiert, teilweise bis heute noch an.