Anton Stankowski und das Design der konkreten Kunst

Stuttgart ist der langjährige Arbeits- und Wohnort Anton Stankowskis, von dem aus er vor allem als Grafiker über Jahrzehnte hinweg seine bundesweit bildprägende Wirkung entfaltet. 1938 hat er sich erstmals in Stuttgart niedergelassen. Nach langer Kriegsgefangenschaft unternimmt er dort einen Neuanfang mit seinem Grafikbüro, in dem er in der Folgezeit das optische Erscheinungsbild namhafter Marken, Unternehmen und Banken entwickelt. Doch tut er sich neben der angewandten auch in der freien Kunst mit wegweisenden Bildfindungen hervor. Von daher versteht es sich von selbst, dass Stankowski seit jeher seinen angestammten Platz in der Sammlung des Kunstmuseums Stuttgart hat. Im Jahr 2022 wird das Kunstmuseum neben zwei weiteren Institutionen – der Nationalgalerie und Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin sowie der Stiftung für Konkrete Kunst und Design in Ingolstadt – von der Stankowski-Stiftung mit einer großzügigen Schenkung aus dem Nachlass des Künstlers bedacht. Diese umfasst allein für Stuttgart 95 Gemälde, elf Plastiken und eine größere Zahl von Grafiken. Damit werden die bereits vorhandenen Bestände des Kunstmuseums nun um ein bedeutendes Konvolut bereichert, durch welches sich das Schaffen Stankowskis in seiner gesamten Bandbreite und Vielgestaltigkeit abbilden lässt.
Raumansicht
Leben und Werk von Anton Stankowski
»Vereinfachen, versachlichen und vermenschlichen, das sind die drei Antriebsfaktoren für meine Arbeit. Dabei ist das letzte, das Vermenschlichen, das Schwierigste.« In diesen Worten des gebürtigen Gelsenkircheners Anton Stankowski (1906–1998) kommen die Bestrebungen zusammen, die sein knapp sieben Jahrzehnte umspannendes künstlerisches Schaffen bestimmen. Die Fokussierung auf den Menschen ebenso wie die von Stankowski propagierte und gelebte Idee der Einheit von freier und angewandter Kunst wurzeln in den während der Ausbildungszeit angeeigneten Lehren und Anschauungen. Maßgeblich ist das von 1926 bis 1928 absolvierte Studium an der Essener Folkwangschule. Dort ist der Werbegrafiker Max Burchartz die prägende Gestalt. Er stand den konstruktivistischen Künstlerkreisen und insbesondere der niederländischen De-Stijl-Gruppe nahe.
Bereits ab 1930, zur Zeit der Anstellung in der Züricher Werbeagentur von Max Dalang, versucht Stankowski sein visuelles Denken in einer – zunächst unvollständig gebliebenen – »Gestaltungsfibel« auf den Punkt zu bringen. In den Jahren in Zürich, in die auch die Heirat mit Else Hetzler fällt, macht er sich einen Namen als Erneuerer der Schweizer Plakatkunst. Durch die politischen Verhältnisse gezwungen, seine Wahlheimat zu verlassen, übersiedelt Stankowski 1938 nach Stuttgart, wo er im Jahr darauf mit der Gründung eines »Grafischen Ateliers« den Schritt in die Selbstständigkeit wagt. Nach acht Jahren Kriegsdienst und russischer Gefangenschaft kehrt er 1948 nach Stuttgart zurück. Damit beginnen nach der langen Unterbrechung des künstlerischen Schaffens fünf Jahrzehnte erfolgreicher Tätigkeit als Werbegrafiker und freier Künstler, als Fotograf und Entwerfer von Wand- und Platzgestaltungen im öffentlichen Raum.
Die Lehrtätigkeit als Gastdozent für Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Ulm seit 1964 gestattet es Stankowski, sein immenses Wissen an die nachfolgende Generation von Grafikdesigner:innen weiterzugeben. 1972 tritt Karl Duschek in das Grafikbüro ein. Er steigt schon bald darauf zum Geschäftsführer und Mitinhaber auf. In den späten Lebensjahren erfährt Stankowskis Schaffen die verdiente Würdigung durch Einzelausstellungen und die Verleihung von Ehrenpreisen, darunter das Bundesverdienstkreuz. Am 11. Dezember 1998 stirbt der Künstler in Esslingen am Neckar.
Ordnung, Harmonie und Progression
»Ästhetik ist Ordnung. Diese These mag angreifbar sein, aber für mich gilt sie.« Mit diesen Worten betont Anton Stankowski die herausragende Stellung der Kategorie der Ordnung in seinem Kunstverständnis. Das Streben nach Ordnung und Harmonie ist nach seiner Auffassung ein Grundbedürfnis des Menschen und Garant für das Funktionieren einer Gesellschaft. Kunst beziehungsweise künstlerische Gebrauchsgrafik, die Menschen erreichen und sie emotional vereinnahmen soll, muss demnach auf deren Ordnungs- und Harmoniesinn zielen. Auch das Wachstum in der Natur vollzieht sich aus der Sicht Stankowskis als geordneter, regelgeleiteter und damit harmonischer Prozess. Er sucht diesen unter dem Stichwort der »Progression« für seine Bildfindungen fruchtbar zu machen. Doch erkennt er in seiner Auseinandersetzung mit den streng strukturierten Gestaltungsmustern auch die Gefahr der Langeweile, die in allem Gesetzmäßigen und Gleichförmigen verborgen liegt. Zur Verlebendigung gewährt er fortan Chaos und Zufall, Subjektivität, Irrationalität und dem Unbewussten Zugang in seine Bildwelten – gleichwohl in kontrolliertem Maße.
Kreuzform Progression Anton Stankowski 1970 Schräge im Quadrat Anton Stankowski 1971 Entwicklung/Pythagoras Anton Stankowski 1949 16 Felder mit acht Farbbändern Anton Stankowski 1976
Natur, Wachstum und Prozess
Anton Stankowskis Werke muten auf den ersten Blick häufig als rein abstrakte, »konkrete« Bildschöpfungen an, die scheinbar über keinen Naturbezug verfügen. Auf der motivischen Ebene trügt dieser Eindruck meist nicht. Die Bildelemente basieren vorzugsweise auf wenigen ungegenständlichen, geometrischen Grundformen. Doch sind diese planvoll nach strengen, auf mathematischer Berechnung fußenden Gestaltungsregeln arrangiert. Sie lassen sich, so Stankowski, durchaus aus der Natur ableiten: »Der biologische Prozess, das Wachsen in der Natur, das ist so ordentlich, daß wir uns manchmal genieren müssen, wenn wir als konkrete Maler anfangen, scheinbar neu zu denken. Denn alles, was wir da machen, ist eigentlich Naturalismus.« Demnach ist das evolutionäre Wachstum durch stete Ausdifferenzierung und Verfeinerung einfacher Formen und Strukturen bestimmt.
In einem weiteren Schritt gelangt der Künstler zu der Einsicht, dass die in der Natur beobachteten Entwicklungsprinzipien auch in anderen Bereichen, etwa bei der Ausformung gesellschaftlicher Strukturen oder den Erkenntnisprozessen der Wissenschaft, anzutreffen sind. Aus dieser gemeinsamen Bindung von Kunst und sozialer Sphäre an die Natur schöpfen Stankowskis Werke ihren Anspruch, auf den Menschen und die Gesellschaft einwirken zu können.
Quadrate
Das Quadrat verkörpert für die konstruktivistisch-konkreten Kunstströmungen der 1920er-Jahre die geometrische Grundform schlechthin. Piet Mondrian etwa bedient sich des Quadrats für seine experimentellen Versuchsanordnungen ebenso wie Kasimir Malewitsch, für den es gleichsam den Nullpunkt einer neuen Kunst markiert. Kein Wunder, dass auch Anton Stankowski, der in jener Zeit seine entscheidende künstlerische Prägung erfährt, sich dem Quadrat zuwendet. Zeitlebens nutzt er es als in höchstem Maße reduzierte, gewissermaßen neutrale Elementarform, anhand derer er etwa die Wirkung der Farbe oder das Zusammenspiel von hellen und dunklen Flächen analysieren kann. Das Quadrat gestattet es ihm in idealer Weise, seine Gestaltungsprinzipien zu erproben, indem er es unter Anwendung mathematischer, serieller oder aber den Wachstumsprozessen der Natur abgeschauter Gesetzmäßigkeiten vervielfältigt, in unterschiedlichsten Formationen anordnet sowie zu flächigen oder räumlichen Gebilden fügt. Stankowski streckt oder zerteilt es und leitet so andere Formen wie Rechtecke oder Dreiecke aus ihm ab. Aber auch die pointierte, symbolhafte Aussagekraft des Quadrats setzt er gezielt ein. Dies bezeugt eindrücklich das 1974 von Stankowski entworfene Logo der Deutschen Bank.
Bunte Segel Anton Stankowski 1974 Selbstteilung Anton Stankowski 1983 Reflektionen über Formen Anton Stankowski 1984 400 Kreisviertel Anton Stankowski 1979
Ziegelformation Anton Stankowski 1959 Farbstreifen waagerecht Anton Stankowski 1957 Abzweigungen Anton Stankowski 1982 Figurative Abstraktion Anton Stankowski 1956
Linien, Balken und Bänder
Bereits Ende der 1920er-Jahre – in der Zeit der Ausbildung an der Essener Folkwangschule und der Übersiedelung nach Zürich anlässlich seiner Tätigkeit für das Reklame-Atelier Max Dalang – widmet sich Anton Stankowski eingehend dem Bildelement der Linie. »Die Linie«, so der Künstler später, »ist das einfachste grafische Formelement. Durch gerade, waagrechte, senkrechte, parallele Anordnungen entstehen vielfältigste Empfindungen.« Je nachdem ob sie einzeln oder in der Gruppe, in paralleler oder scheinbar zufälliger Konstellation auftritt, ob sie vertikal, horizontal oder diagonal ausgerichtet ist, vermag die Linie unterschiedliche Effekte zu erzielen. Mit zunehmender Breite oder Länge mutiert sie zum Balken oder zum Band. Bekommt die Linie einen »Kopf«, wie Stankowski es nennt, wird sie zum Pfeil und damit zu einem Zeichen mit Verweischarakter. Linien können sich darüber hinaus zu raster- oder netzartigen Formationen fügen oder aber zu Umrissen zusammenschließen, sodass die so abgegrenzten Bereiche als Flächengebilde, geometrische Formen oder auch gegenständliche Motive aus dem Bildgrund hervortreten.
Diagonalen
Von Beginn seiner Tätigkeit als Werbegrafiker an, also ab Mitte der 1920er-Jahre, gesellt sich bei Anton Stankowski neben das Quadrat die Diagonale als wichtiges Gestaltungselement. Deren Wert als Innovation attestiert ihm noch ein halbes Jahrhundert später die Schweizer Künstlerkollegin Verena Loewensberg: »Er hat die Schräge ins Plakat gebracht.« Schon in sechs frühen Gemälden, die Stankowski um 1929/30 für eine geplante Ausstellung in Zürich gefertigt hat, erlangt die Diagonale in unterschiedlicher Varianten Gestalt. Den Hintergrund bildet das damals in den künstlerischen Strömungen vom Suprematismus über den Konstruktivismus und De Stijl bis hin zum Bauhaus allgegenwärtige Ringen um einen verbindlichen Formenkanon. Für Stankowski wird die Diagonale gleichsam zu einem seiner Markenzeichen, das sich in den späten 1950er-Jahren zusehends von der Vorherrschaft des Quadrats emanzipiert. Vielfach fällt ihr nun gar die Aufgabe zu, das Quadrat zu durchschneiden, es zu zerteilen und es so gleichsam zu dekonstruieren. Als eigenständige bildnerische Kompositionselemente treten die Schrägelemente fortan auch häufig in geschwaderartiger Formation auf. Dadurch erfährt der Effekt der Dynamisierung und räumlichen Öffnung eine deutliche Steigerung.
Takte auf schwarz Anton Stankowski 1980 Würfellinien Anton Stankowski 1965 Zellenstufen rot Anton Stankowski 1970 Linien diagonal-waagerecht Anton Stankowski 1980
Signets, Werbegrafik und Sprachbilder
Mit der Gestaltung von Logos und Markendesigns hat sich Anton Stankowski ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben. Viele der von ihm kreierten Bildzeichen finden heute nach wie vor Verwendung und haben nichts von ihrer Signalwirkung und Aussagekraft eingebüßt. Dies verdankt sich fraglos dem Umstand, dass Stankowski künstlerischen Anspruch mit den Erfordernissen der Gebrauchsgrafik in Einklang zu bringen wusste. So sind seine »Markenzeichen« einerseits »visuell schön«, vereinnahmen den Adressaten aber zugleich durch wahrnehmungspsychologisch verankerte Effekte, die der Gestalter gezielt nutzt und die er auch konkret benennt: die »leichte, schnelle Ablesbarkeit der bildlichen Information«, den »Merkwert« der Formensprache, die zugleich »zeitlos« sein soll, und eine »klare, einfache Eigenform«, die sich dennoch von bereits bestehenden abhebt.
Aus dem gebrauchsgrafischen Kontext erwächst schon früh Stankowskis Interesse für die Sprache als Kommunikationsmittel mit eigenen bildhaften ästhetischen Qualitäten. Neue Impulse empfängt er in seinen typografischen Worterkundungen durch den Kontakt zur sogenannten Stuttgarter Schule, einem Kreis von Denker:innen, Literat:innen und bildenden Künstler:innen. Dieser sucht in der Nachkriegszeit den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Kunst, Informationstheorie und Ästhetik zu vollziehen.