Fast könnte man das Wichtigste im Bild übersehen: eine Reihe von 14 Säulen. Sie stehen mitten in einer Industrielandschaft und werden von einer großen Anlage mit hohem Schornstein überragt und von einem niedrigen Gebäude verdeckt. Gegenüber der riesigen Industrieanlage wirken die Säulen winzig klein. Doch im Vergleich zu den Zäunen der Baustelle im Vordergrund und damit auch der menschlichen Größe zeigt sich ihre Monumentalität.
Annette Kelm fängt die Szene mit nüchternem Blick ein. Die Umgebung wirkt ruhig und unbelebt. Die unansehnliche Industrieanlage sorgt jedoch für farbige Kontraste. Für das Motiv erkundet Kelm den Recyclingpark Neckartal. Die Säulen stehen dort zwischen dem Recyclinghof und dem Kraftwerk Stuttgart-Münster. Sie werden in den 1930er-Jahren aus Travertin, einem lokalen Kalkstein, im Stuttgarter Steinbruch Lauster gefertigt. Doch hat man sie infolge der Kriegsauswirkungen nicht mehr wie geplant in Berlin für ein Denkmal für den italienischen Faschistenführer Benito Mussolini verwendet. So sind die Säulen heute in der modernen Industrielandschaft ein stilles Zeugnis der nationalsozialistischen, übersteigert monumentalen Architektur. In ihren Aufnahmen zeigt Kelm ihre Banalität und Unsichtbarkeit im Alltag ebenso wie den verstörenden Bezug zur jüngeren deutschen Geschichte.
Werkdaten
- Inventarnummer: 2024-021
- Material / Technik: Digitale Farbfotografie auf Papier
- Creditline: Kunstmuseum Stuttgart