Die Frage ob Kunst gegenständlich sein und sich am Abbild der Welt orientieren solle oder stattdessen die Abstraktion bis zum Verlassen des Gegenständlichen weiter zu treiben sei, wird insbesondere im Deutschland der Nachkriegsjahre vehement diskutiert. Das Erbe der ideologischen Indienstnahme der Kunst durch den Nationalsozialismus in Gestalt eines pathetischen, übersteigerten Realismus lässt gegenständliche Malerei und Skulptur in der Folge zunächst obsolet erscheinen. Viele der Künstlerinnen und Künstler versuchen deshalb an die in der Nazizeit verfemte abstrakte Kunst der Avantgarde anzuknüpfen. Allerdings wird nicht dem »konstruktiven Stil«, den Anton Stankowski bereits in den 1930er-Jahren vertreten hatte, dabei der Vorzug gegeben. Stattdessen gilt eine expressive, informelle Formensprache als Inbegriff der individuellen Freiheit. Stankowski befindet sich, nachdem er 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Stuttgart zurückgekehrt ist, in einer Phase der Neuorientierung. Das hier gezeigte Aquarell ist gleichsam der Versuch, Figuration und Abstraktion miteinander zu versöhnen: Die teils geraden, teils geschwungenen Linien fügen sich zu geometrischen Formen, die zugleich gegenständliche Assoziationen wecken – das reicht von comichaften Figuren über Pilzköpfe bis hin zu einem angebissenen Apfel.
Werkdaten
- Inventarnummer: 2022-299
- Material / Technik: Aquarell auf Aquarellpapier
- Creditline: Kunstmuseum Stuttgart, Schenkung der Stankowski-Stiftung