Bildnis der Tänzerin Anita Berber

Größe136,1 x 81,8 x 6 cm mit Hängeöse
AusgestelltKubus 1 Raum 28 Wand a

Otto und Martha Dix sind fasziniert, als sie Anita Berber 1925 bei einem Auftritt in Düsseldorf sehen. Das Ehepaar tanzt selbst leidenschaftlich gern, aber was die berühmt-berüchtigte Berber auf der Bühne zeigt, gleicht einer Revolution des modernen Tanzes. Viele Zeitgenossen sind schockiert von der kompletten und völlig ungenierten Nacktheit ihrer Darbietungen. Hinzu kommt der ausschweifende Lebensstil: Drogen, Alkohol, Bisexualität und zahlreiche weitere Tabubrüche handeln Anita Berber den Ruf als Bürgerschreck der Weimarer Republik ein. Nur wenige erkennen den ästhetischen Gehalt ihrer Vorstellungen. Sie bringt das Hässliche und die Abgründe des menschlichen Daseins ungeschönt auf die Tanzbühne und täuscht in Stücken wie »Kokain« oder »Morphium« nicht nur einen rauschhaften Zustand vor, sondern verkörpert ihn durch und durch. Damit fängt sie die Schattenseiten einer ganzen Epoche ein.
Dass Dix dieser kompromisslose Blick auf die Welt beeindruckt, ist naheliegend. Auch Anita Berber porträtiert er in seiner charakteristisch schonungslosen Weise. Der Körper einer schönen 26-Jährigen zeichnet sich unter dem roten eng anliegenden Kleid ab. Hinter dem stark geschminkten Gesicht scheinen jedoch die Spuren ihres ausschweifenden Lebens deutlich hervor. Die S-Kurve ihres Körpers und die langen krallenartigen Hände verstärken die erotische Haltung, mit der die Tänzerin den Betrachter:innen begegnet. Den Blick richtet sie in die Ferne, sodass wir sie ungeniert beäugen können. Die Faszination, die von ihr ausgeht, hält sie am Leben und ruiniert sie zugleich. Drei Jahre, nachdem das Porträt entstanden ist, stirbt Anita Berber im Alter von nur 29 Jahren.

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Bildnis der Tänzerin Anita Berber

Anita Berber verkörpert nicht nur eine bestimmte Zeit, sondern eine ganze Lebenseinstellung. Als skandalumwitterte Tänzerin und Schauspielerin, als Modell und Rebellin war sie seit dem Beginn des ersten Weltkrieges außerordentlich erfolgreich. In kürzester Zeit erreichte sie hohe Bekanntheit als Stilikone der Weimarer Republik. Sie widersetze sich den Regeln ihrer Zeit, lebte ausgelassen und zelebrierte den Exzess. Dies führte zu einem frühen Zusammenbruch, und sie verstarb bereits mit 29 Jahren. Ihr Drogen- und Alkoholkonsum, ihre sexuelle Freizügigkeit und ihre lasziven, zum Teil nackten, Tänze machten sie weithin berühmt und berüchtigt. Mit ihren Auftritten, etwa dem „Koreanischen Tanz“ oder dem „Tanz des Lasters, des Grauens und der Ekstase“, löste sie Skandale aus. Die Schrecken des Krieges beförderten in der Nachkriegszeit das Verlangen nach Leben und Amüsement. Im Kontext dieser Zeit rebellierte eine Generation von Frauen mit kurzen Haaren und einem ausschweifenden Lebensstil gegen etablierte Moralvorstellungen und die alten, militärisch-wilhelminischen Regeln. Anita Berber war ein ikonischer Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses sowie eines selbstbewussten Frauenbildes dieser Zeit. Das Portrait, das Otto Dix angefertigt hat, zeigt sie in einem roten Kleid vor einem roten Hintergrund. Anita Berber hat wohl ursprünglich unbekleidet Modell gestanden, das Kleid wurde erst nachträglich eingefügt. Um sie vom Hintergrund abzusetzen, ist sie von einem leicht hellen, gelben Schein umgeben, der ihr eine Art Aura verleiht und sie von der unbestimmten Umgebung abhebt. Sie wird ohne Möbel, räumlichen Bezug, Attribut oder Accessoires dargestellt. Sie steht hier ganz für sich alleine. Mit dem blassen, stark geschminkten Gesicht und den krallenartigen Fingern wirkt das Portrait überzeichnet, überspitzt, beinahe grotesk wie eine Karikatur. Dieser Stil war typisch für Otto Dix. Anita Berbers Blick geht ins Leere und weicht dem Betrachter aus. Ihre Körperhaltung, im Kontrapost mit einem Stand- und einem Spielbein sowie eingeknickter Hüfte, betont ihre Figur und damit den erotischen Aspekt. Das leuchtende, fast aggressive Rot verstärkt diesen Eindruck. Otto Dix‘ Portrait von Anita Berber zeigt sie nicht, wie sie war, sondern, wie der Künstler sie gesehen hat. Schließlich gab es bereits zahlreiche Fotografien und Filme, auf denen ihr äußeres Erscheinungsbild für die Nachwelt festgehalten ist. Der Eindruck, den das Gemälde hinterlässt, ist der einer ausgezehrten, müden Frau, die älter wirkt, als sie tatsächlich geworden ist.
Werkdaten
Inventarnummer: LG-078
Material / Technik: Öl und Tempera auf Sperrholz
Creditline: Sammlung Landesbank Baden-Württemberg im Kunstmuseum Stuttgart
Provenienz

1925–1926 Otto Dix, Düsseldorf, Berlin; 1926 Galerie Neumann-Nierendorf, Berlin; 1926, Juni-Juli Moderne Galerie Thannhauser, München; 1926–1937 Städtische Galerie, Nürnberg; 1933, 17.4.–1933, 16.5. Städtische Galerie, Nürnberg; 1937 Städtische Galerie, Nürnberg; 1939, 30.6. Galerie Fischer, Luzern; 1939–1963 Unbekannter Besitz (in Frankreich); 1963 Herr Ziegler, Stuttgart; 1963–1969 Otto und Martha Dix, Hemmenhofen; 1969–1978 Martha Dix, Hemmenhofen, Serrians (F); 1978–1983 Gesellschaft Erben Otto Dix; 1983–2006 Otto Dix-Stiftung Vaduz, Liechtenstein; 2006–heute Landesbank BW, Stuttgart; 2006 Kunstmuseum Stuttgart

Lizenzhinweis
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Foto: Frank Kleinbach, Stuttgart
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